Hedi Klingers Klassiker der österreichischen Küche

Texte von Willi Klinger
Fotografien von Manfred Klimek
Landschaftsfotos von Josef Neumayr
Brandstätter Verlag, Wien, 4. Auflage 2022, 240 Seiten, 35.— Euro
ISBN 978-3-7106-0602-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach GASPOLTSHOFEN.

Wer in diese 3.500 Einwohner zählende Gemeinde im oberösterreichischen Hausruckviertel fährt, hat entweder Verwandte dort oder ist auf Spurensuche nach Thomas Bernhard. Letzterer weilte zu Lebzeiten des Öfteren in diesem Marktstädtchen. Zum einen, weil er dort jene Leute traf, die sich wunderbar in seine schriftstellerische Vorstellungswelt einfügten, zum anderen, weil das Gasthaus Klinger Bernhards kulinarische Wünsche mehr oder weniger erfüllte. Dokumentiert ist, dass er sich einmal zu einem Schweinsbraten statt eines Mehlknödels einen Semmelknödel erbat, der ihm mit folgenden Worten verwehrt wurde: Herr Bernhard, mit dem von Ihnen gewünschten Semmelknödel haben wir leider Schwierigkeiten. Willi Klingers Geschwister ziehen ihn heute noch wegen dieses geschraubten Satzes auf. Bernhard war nicht nachtragend, kehrte dennoch immer wieder beim Klinger-Wirt ein, aber vor allem wegen Hedi Klingers Küche. Ihre Frittatensuppe schaffte es sogar in Bernhards Stück ‚Der Theatermacher‘. Im Grunde existiere ich, lässt uns der Hauptdarsteller Bruscon wissen, auf der ganzen Tournee schon von nichts anderem als von der Frittatensuppe. In Gaspoltshofen schmeckte sie ganz und gar außerordentlich … nicht zu fett … Selbst in der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe. 43 Mal soll von dieser Suppe und diesem Ort die Rede sein. Nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen begann eine Art ‚Frittatensuppen-Tourismus‘. Hedi Klinger, um die es hier aber geht, findet das Theater um ihre Frittatensuppe reichlich übertrieben. Aber gut ist sie schon, die Frittatensuppe, weil ihre Palatschinken so sind, wie sie gehören. Das Rezept für die Palatschinken wie auch für die Frittatensuppe finden Sie in Hedi Klingers Klassiker der österreichischen Küche. Das Kochbuch ist nun in vierter Auflage im Brandstätter Verlag erschienen.

Hedi Klinger war einige Jahrzehnte im Gasthaus die treibende Kraft im Hintergrund. Während ihr Mann Wilhelm die Gäste mit gepflegt gezapftem Bier und guten Wein bewirtete, kochte sie auf. Eine facettenreiche Regionalküche, die geprägt ist von den kargen Lebensbedingungen der Bauern einerseits und dem Reichtum städtischer Bürgerschaft sowie Handwerkerzünfte andererseits. Und natürlich fließt in Hedis Kochwelt auch ein Anteil höfischer Kochkultur ein, die noch aus monarchistischer Zeit stammt. Willi, ihr Sohn, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kochkunst seiner Mutter vor dem Vergessen zu bewahren, und aufgeschrieben, was und wie sie kochte.

In sieben Kapiteln wird Hedis feine und sehr persönliche Interpretation der klassischen österreichischen Küche vorgestellt. Jausen & kalte Vorspeisen eröffnen den kulinarischen Reigen. Dabei gab es früher keine Vorspeisen im heutigen Sinne; Suppen ja, zu einem Festmahl. Dieses erste Kapitel hat es bereits in sich. Da werden Köstlichkeiten serviert, die im Westen Österreichs kaum bekannt sind. Der Kochkas alias Ausgesottene, zum Beispiel. Ein Topfengericht, das lauwarm oder kalt serviert wird und in der Luxusausführung schlagobersverfeinert. Hedis Sauce tartare – eine Mayonnaise, d.h. Remouladensauce ohne Kapern und Sardellenfilets – macht eine einfache  Schinkenrolle oder ein russisches Ei (Mayonnaise-Ei) zu einer wahren Delikatesse. Mit der Gemüsemayonnaise nimmt Hedi Anleihen bei der piemontesischen Antipasti insalata russa – ersetzt einfach die Kartoffeln durch Knollensellerie: eine wunderbare Idee. 

Hedi Klinger, die Grande Dame des Klingerschen Gasthofes,  hat ihre Prinzipien. Die Essigwurst in Essig und Öl macht man nur mit Knacker und nicht mit Extrawurst. Dazu zwei Kaisersemmeln, zum Auftunken der Marinade, fertig ist der Wurstsalat. Übrigens eigenen sich ihre Jausenvorschläge immer gut für ein Picknick.

Im 2. Kapitel dreht sich alles um Suppen. Ein reichhaltiges Terrain, da Suppen beliebt sind als Vorspeisen für dreigängige Festessen. Sie durften auch bei keinem Hochtzeitsmahl oder Totenschmaus fehlen. Grundsätzlich gilt: Eine Suppe braucht Geduld. Das gilt auch für die gebackenen Leberknödel, die bei Hedi Klinger klassisch als Rindsuppeneinlage dienen. Bei ihrem Rezept fällt auf, dass sie mehr Knödelbrot als Schweins- oder Rindsleber verwendet und dass die Masse vor dem Formen durch den Fleischwolf getrieben wird. Belohnt wird man mit einer feinen Knödelstruktur. Egal ob Leberknödelsuppe, Frittatensuppe, Entenlebernockerl, Milzschnitten oder Knoblauchsuppe bzw. Kürbiscremesuppe, sie wärmen und sind Momente stillen Glücks, in denen nur Löffelgeräusche und leises Schmatzen zu hören ist. Oft genügt eine einfache Suppe als Mahlzeit.

Hedi Klinger unterscheidet interessanterweise zwischen Hausmannskost und Hauptspeisen, gleichzeitig Kapitel 3 und 4. Ob es da für sie einen graduellen Unterschied gibt, wie bieder und vornehm oder alltäglich und herausragend, weiß ich nicht. Nur, dass das Blunzengröstl, aber auch die Eierschwammerl in Rahmsauce bei mir als Hauptspeise auf den Tisch kommen. Also springen wir gleich zu Hedis Glanzstücken der Tafelküche. Denn die Hauptspeisen spielen ihrer Meinung nach alle Trümpfe der österreichischen Küche aus. Der klassische Sonntagsbraten, ob Hausrucker Schopfbraten, gefüllte Kalbsbrust oder gebratene Lammschulter, ist das Herzstück dieses Kochbuchs. Hedis Küche ist nun mal sehr fleischlastig. Für das scharfe Klingergulasch, ein schön durchzogener, gelierter Wadschinken, nach einer Rezeptur mit ostpreussischen Wurzeln, ersetzt sie einen Teil des edelsüßen Paprika durch scharfen oder lässt getrocknete Pfefferschoten mitdünsten. 

Wolfram Siebeck höchstpersönlich war Gast im Klinger Wirtshaus und schwärmte: „So und nicht anders möchte man ein Wiener Schnitzel serviert bekommen. Ein Boticelli der Schnitzelkunst.“ Das Schnitzel eine klassische Schönheit – leicht und zart. Was hätte der Feinschmecker wohl zum Brathendl oder Rehkitzbraten á la Hedi gesagt? Das Brathendl erinnert mich an Marzella Hazans Brathuhn mit Zitrone, nur dass anstatt der kleinen Zitrone in der Bauchhöhle ein eigroßes Stück Butter schmurgelt. Alle Viertelstunden wird das Hendl gedreht und die Haut dunkler. Ein wenig Wasser, Butter und Salz ergibt dann auch ein buttriges Natursaftl, wie der Köchin Sohn Willi es ausdrückt. Davon schwärmen die Saucenliebhaber – essen den Bratensaft löffelweise aus dem Reindl. Bodenständige Kost wird in diesem Kapitel serviert, und im darauffolgenden widmet man sich den Beilagen. Auch hier werden sich viele an die Küche der Mutter oder Großmutter erinnern. Das Erdäpfelpüree eher dünn, mit wenig Butter, wie man es früher halt machte. Das Stöcklkraut dagegen war mir neu, einfach und gut. Ein Krautkopf, Salz und Kümmel, fertig ist die Spezialität aus dem ‚Schaunberger Land‘. Die Mehlknödel, die Thomas Bernhard durch Semmelknödel ersetzen wollte, kenne ich nur mit einer Mehlsorte. Im Gasthaus Klinger wird dafür griffiges mit glattem Mehl gemischt, halb-halb. Und wenn die Knödel mit Esslöffeln zu Nocken geformt werden, dann heißen sie Mehlknodn.

Im Kapitel Mehlspeisen wird das Originalrezept der  Klingertorte verraten, eine feine Nusstorte, die in der Herstellung schon recht aufwändig ist. Keine Kuchen finden sich hier, aber Klassiker wie Hedis Kardinalschnitten oder die in dieser Region beliebten Erdäpfelsteckerl mit Zucker und Zimt. Eingebettet in diesem Abschnitt ist die Weihnachtsbäckerei. Rezepte von Lebkuchen, Vanillekipferln, Spitzbuben und andere Keks-Naschereien laden zum Backen mit Kindern und Enkeln ein und lassen uns so die nebligen Novembertage vergessen. 

Am Ende werden noch einige Grundrezepte vorgestellt; überraschend mit wie wenig Basics Hedi Klingers Küche auskommt. Ein Österreichisch – Deutsches Glossar bildet aber den ultimativen Schlusspunkt. Erstaunlich ist, was den ‚Nicht-Österreichern‘ alles erklärt werden muss!

Hedi Klingers Klassiker der österreichischen Küche ist das Vermächtnis einer vitalen 89-jährigen Köchin, die geprägt ist von den Essgewohnheiten ihrer Landsleute und dabei gelegentlich über den Tellerrand schaute, um sich inspirieren zu lassen von anderer Länder Küchen. In erster Linie ist es aber ein österreichisches Kochbuch, auch was die Weinempfehlungen anbelangt, die von Thomas Klinger beigesteuert wurden. Diese Getränketipps, ob Bier oder Wein,  sind eine Bereicherung und lassen, werden sie beherzigt, manches Mahl zu einem Festmahl werden. Hedis Kochbuch enthält auch Geschichten über Essgewohnheiten im Hausruckviertel, fein erzählt und gut recherchiert von Willi Klinger. Dieses Buch lebt von Erinnerungen, von Rezepten, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden. Einfache und bewährte Familienrezepte für den Alltag und für Festtage, ergänzt mit Kommentaren aus jahrzehntelanger Kocherfahrung. Den richtigen Blick für die Gerichte und abgelichtet hat sie Manfred Klimek.

Das Besondere an Hedi Klingers Kochbuch ist, dass man ihre Begeisterung für ihre Art zu kochen auf jeder Seite spürt und dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen an uns weitergibt. Davon kann man beim Nachkochen nur profitieren und Familie, Freunde, auch geladene Gäste beglücken.