Jakob Glatz (Hg.), Das große Nuri Sardinen Kochbuch

Eine Reise nach Portugal - Wie der Fisch in die Dose und aus der Dose auf den Teller kam

Rezepte von Andres Stirn
Texte von Anna Burghardt
Mit Foodfotos von Melina Kutelas
Brandstätter Verlag, Wien, 2. Auflage 2023, 224 Seiten, 35.-- Euro
ISBN 978-3-7106-0593-2
Vorgekostet

Heute reisen wir von PORTO nach WIEN.

Das ist auch der Weg der Sardinen. Ja richtig, jener kleinen Planktonfresser, die in großen Schwärmen an europäischen und nordwestafrikanischen Küsten vorkommen. Sie werden tonnenweise von portugiesischen Trawlern aus dem Meer geholt. Millionen silbrig glänzender Fische werden jedes Jahr fangfrisch an die Fischkonservenfabriken angeliefert. Eine davon ist die Fábrica de Conservas Pinhais bei Porto, mit über 120 MitarbeiterInnen, großteils Frauen. Das Besondere: Es werden nur Frischfische von höchster Qualität verwendet und mit viel Handarbeit in Dosen eingelegt. Zugemacht und in gelbes Papier mit dem Nuri-Schriftzug eingewickelt. Dieser Arbeitsprozess läuft seit über 103 Jahren immer gleich ab. Ein weiteres besonderes Merkmal: Die Fabrik gehört Jakob Glatz, einem Österreicher. Er eröffnete 2020 in der Wiener Innenstadt den Nuri-Shop, ums Eck von der Hofburg. Na, ob das dem Kaiser g’fallen hätt? Jedenfalls haben die Nuri Sardinen eine lange Tradition, auch in Österreich, und sind bekannt wie ein bunter Hund. Aber wenige wissen, wie der Fisch in die Dose und aus der Dose auf den Teller kam. Das erzählt uns Das große Nuri Sardinen Kochbuch, das der Brandstätter Verlag auflegte. 

Das Buch ist zweigeteilt. In einem ersten Block dreht sich alles um die Sardine. Mit Anna Burghardt begeben wir uns auf die Straße der Ölsardinen, nicht in Monterey, das wäre John Steinbeck, sondern in Matoshinos, dem Fischereihafen von Porto im Norden Portugals. Da erfahren wir, sehr bildreich und emotional, was den feinen Unterschied der Nuri Sardine zu den anderen ausmacht. Es ist die Geschichte einer Fabrik und der Menschen dahinter. Sie handelt von den Fischeinkäuferinnen, die sich in einer Männerdomäne bewähren. Von Frauen, die mit einem unnachbaren Handgriff die Sardinen köpfen, spülen und in die Grillgitterkörbe stecken, ehe sie in den Dampfgarer, die Sauna, geschoben werden. Die Sardine ist, wie wir wissen, ein Schwarmtier und setzt ihre Reise so fort. Allerdings in Kleingruppen, denn in den Dosen haben nur drei, manchmal vier Fische Platz samt Reiseproviant. Senhorita Karottenscheibe, die stets auf die schlanke Linie bedacht ist – dank ihres Beiseins zählt jede Portion Nuri auch als Portion Gemüse. Fräulein Salzgurkenscheibe, die mit säuerlicher Stimme fragt, ob sich alle angeschnallt haben. Sie selbst wird schon beim Gedanken daran reisekrank, daher die grüne Gesichtsfarbe. Nelke, Lorbeer und manchmal Piri-Piri aus Gondomar, östlich von Porto, gesellen sich dazu bei Fado-Musik und hintergründig ‚portugaischem‘ Tratsch, ehe sie mit Öl, manchmal mit Tomatensauce befüllt und verschlossen werden. Ausführlichst wird das alles beschrieben und uns der Unterschied klar gemacht, was die Sardine zur Ölsardine, d. h., Nuri, macht. Wie die Ölsardinen in die Dosen kommen, ist nach rund 80 Seiten geklärt. Bleibt nur mehr die Frage: Wie kommt die Ölsardine in die Küche? Davon handelt der zweite Teil, denn die Fischlein sind neugierig: Sie wollen jetzt endlich ausprobieren, wie es sich außerhalb der Dose lebt. Da kommt jetzt Andres Stirn ins Spiel, seines Zeichens Koch und Sardinenspezialist. Ein Düsseldorfer, der im Restaurant Salzamt in Wien kocht. Über einige Jahre entwickelte der Nuri-Fan Andres Rezepte mit der Ölsardine als Hauptdarsteller. Das bedeutet, alle vorgestellten Gerichte sind zeitgemäß und neu entwickelt. Vielfach werden beliebte Essen um die Zutat Sardine erweitert bzw. angepasst an das doch eigene Aroma dieses Dosenfisches. Und das mit großem Erfolg und auch überraschenden Geschmackserlebnissen. Der zweite Block gilt also den aufgetischten Ölsardinen. 

In vier Kapiteln werden Rezepturen vorgestellt, die von Blutorangensalat bis zur Nuri-Butter die gesamte Bandbreite der Kochkultur abdeckt bis auf Süsses und Desserts. In der Abteilung Tapas stößt man auf das weiße Bohnenpüree, das sich hervorragend als Dip zu Rohkost und Gegrilltem gesellt. Die gebackenen Nuri-Kroketten mit Mayonnaise erinnern mich an sizilianische Arancini, nur dass anstelle des Reis’ Kartoffel und anstelle des Hackfleischs Sardinen verwendet werden. Klassisch, einfach und länglich geformt, werden Sardinenkroketten als Vorspeise in Portugals Kneipen und Bars mit einem kleinen grünen Salat serviert. Wichtig für Pao de frigideira mit Sardinen und Salsa ist die Pfanne, die benötigt wird, um darin die Honig-Brotfladen herauszubacken. Sie sind die Basis für dieses Gericht, also belegte Brote mit kleingeschnittenem Selleriesalat und einem Schlag saure Sahne. Die Quiche mit Grünkohl, Chicorée und eben Sardinen mundete und wird wohl in Zukunft öfter auf dem Tisch stehen. Jetzt, wenn die ersten reifen Paradeiser zu ernten sind, freue ich mich auf den Nuri-Tomatensalat, auch wenn ich noch keine Vorstellung habe, wie der schmecken wird. 

Und es gab einige positive Überraschungen wie der gratinierte Ziegenkäse mit Orange, Ingwer und Sardinen oder die Linguini mit Sardinen, Fenchel und Rosinen die Vorfreude aufkommen lassen ob der weiteren Rezepturen. Interessanterweise waren die Rosinen im Gemenge der Pasta kaum wahrzunehmen. Noch verblüffter waren meine Testesser der passierten Nuri-Fischsuppe, die nicht glauben wollten, dass zwei Dosen Nuri-Sardinen darin versenkt waren. Mein persönlicher Favorit sind zur Zeit die Kartoffelpuffer mit Sardinen und Schnittlauchrahm, wohl auch deshalb, weil meine Enkel sie mit Heißhunger verputzten. Wahrscheinlich mögen sie auch die mit Sardinen-Butter geschmierten Brote oder die Tomatenbrote, die mit Sardinen-Torsi zugedeckt sind. Ich habe beides unlängst abends genossen, dazu einen Schluck Portwein und Fado-Musik im Hintergrund. Sehr entspannend. 

Das große Nuri Sardinen Kochbuch fällt auf hinsichtlich des geschichtsträchtigen und gourmandisen Innenteils und sichtbaren Schutzumschlags. Er ist eine Imitation der klassischen Dosenverpackung: auf gelbem Hintergrund prangen die Aufschriften ‚Sardinen in scharfer Tomatensauce mit Olivenöl‘ und ‚Sardinen in Olivenöl‘ … Seit rund 80 Jahren ist die Nuri-Sardinendose im österreichischen Handel erhältlich, brachte so den Geschmack des Meeres auf den Küchentisch und hat inzwischen Kultstatus. Andres Stirn und Jakob Glatz haben die Ölsardine aus dem Dornröschenschlaf geweckt und möchten mit diesem Rezeptbuch ihr einen gebührenden Standplatz in der heutigen Kochkultur einräumen. Interessanterweise fand ich kein traditionelles Sardinen-Gericht außer der Nuri-Butter, die der Patè de Sardinha nachgebaut scheint. Schade, dass hier das traditionelle Portugal rezeptmäßig etwas vernachlässigt wird. Dabei schaut Andres gerne über den Tellerrand, holt sich Anleihen von Klassikern wie den Waldorfsalat oder aus Länderküchen, um Nuri-Focaccia, Sardinen mit Burrata, Bohnen und Pinienkerne oder Nuri-Nicoise zu kreieren. Es ist erstaunlich, wie leicht sich die Ölsardine in die moderne Küche integriert. Mehr noch: die vorgestellten Sardinen-Rezepte sind anregend und nicht schwer nachzubauen, purer Genuss mit Überraschungsmomenten.