Heute reisen wir nach MAROKKO.
Wenn ich mit Freunden über Marokko rede, so fällt ihnen als erstes der Sternenhimmel über der Wüste ein. Dann erst die Königsstädte – Fes, Meknes, Marrakesch und Rabat. In seinem autobiographischen Buch Südkurier schrieb Antoine de Saint-Exupéry über die hitzeflimmernden Weiten der Wüste. Auch über jene geheimnisvollen Treffpunkte der Araber hinter den Dünen – Dora, Smara, Sequiet-el-Hamra – „von denen die Geographen nichts wissen und die von den Muselmanen verehrt werden“. Ein altes arabisches Sprichwort sagt: Die Welt ist ein Pfau und Marokko sein Schweif …
Die, die das Land der untergehenden Sonne bereisten, erzählen auch von der marokkanischen Gastfreundschaft, von Einladungen, von der traditionellen Begrüßung, zu der fast rituell Minztee serviert wird. Der Minztee auf traditionelle Art zubereitet, hat seinen Platz in Abdel Alaouis Kochbuch Marokko weit hinten, umrahmt und umgarnt von wunderbaren Desserts und Backwerken. Aber der Reihe nach.
Choukran lautet der Titel der französischen Originalausgabe von Marokko, in welchem Alaoui 100 einfache Rezepte vorstellt. Choukran ist arabisch und heißt ‚Danke‘. In Marokko dreht sich alles um die marokkanische Küche und indirekt ist es auch eine Reise in Alaouis Kindheit in Oujda im Nordosten Marokkos, nahe der algerischen Grenze. Denn dieses Kochbuch gäbe es nicht ohne Yemma lhaja Sakina, seine Mutter, die ihr Wissen über Aromen, Gewürze und Familiengerichte an ihn in jungen Jahren weiter gab. Normalerweise werden die Rezepte von der Mutter an die Tochter weitergegeben. So vermittelt jede ihre Interpretation der Gerichte ihrer kulinarischen Ahnen an die nächste Generation. Deshalb variieren CouscousRezepte von Familie zu Familie und auch von Region zu Region. Außerdem lässt sich in jeder marokkanischen Familienküche eine Besonderheit finden. So gesehen ist dieses Kochbuch auch ein Erbe, ein unvoreingenommener Blick, behauptet Abdel, auf seine traditionelle Küche. Quasi eine Reise durch das Legenden umwobene Land am Atlas, mit exotischen, köstlichen, vielfältigen und farbenfrohen Rezepten, die dem Gebot des Teilens und der Gastfreundschaft folgen.
Wenn auch die maghrebinische Küche auf eine tausendjährige Tradition zurückblickt, so bleibt Abdouls Rezeptesammlung doch überschaubar und verteilt auf fünf Kapitel. Nach einem Blick in seinen Vorratsschrank, worin die zehn wichtigsten Zutaten versammelt sind, die bevorratet sein sollten zum Nachkochen der marokkanischen Küche, tauchen wir ein in die Welt der Snacks. Kémias zum Teilen, heißt das erste Kapitel und meint eine Auswahl an Vorspeisen, die als Aperitif oder kleine Happen auf Gemüsebasis serviert werden. Marokkanische Tafeln sind vollgestellt mit Kémias. Das sind einfache Gerichte wie Hummus aus weißen Bohnen oder Maakouda-Bällchen aus Kartoffelteig, die mit einem Joghurtdip serviert werden. Eine Pikante Olivenpaste ist Harissa-Tapenade, die tageszeitlich unabhängig auch als Brotaufstrich genossen werden kann. Schon landestypischer sind Rote Beete mit Salzzitronen und der Mechouia-Salat, Letzterer passt gut zu Fleischgerichten.
Etwas Fingerfertigkeit ist Voraussetzung für die würzig gefüllten Briouates, die als quadratisches Päckchen oder zylindrisch wie eine Zigarre, mit Gemüse und Feta gefüllt sind, eine beliebte kleine Mahlzeit. Sie können auch dreiecksförmig gefaltet werden, wie das geht, zeigt der Autor in einer Fotostrecke. Briouates werden herzhaft mit Huhn, Lamm, Fisch oder Garnelen bzw. süß mit Mandel- oder Erdnusspaste gefüllt. Für dieses Blätterteiggebäck wird ein Brik-Teig verwendet bzw. türkische Yufka- oder griechische Filo-Blätter. Ob Briouates mit Schafskäse & Orange oder Taschen mit Zucchini & Kreuzkümmel, Ihre Gäste werden überrascht sein ob der inneren Verwandlungsfähigkeit dieses Gerichts. Als dazu passende Getränke bietet der Autor diverse Eistees mit Zitrone, Orange oder Zitronenverbene an: ideale Durstlöscher an heißen Tagen. Mir schmeckt besonders gut der vollmundige Orangen-Bete-Saft, der mit Granny Smith Würfeln angereichert, eine säuerliche Note bekommt.
Das zweite Kapitel widmet sich dann vor allem den marokkanischen Klassikern Couscous, Tajines & Co.. Hier dreht sich also alles ums gute Essen für Freunde und Familie, wie Abdel nicht müde wird zu betonen. Ob Couscous natur oder Couscous mit siebenerlei Gemüse oder Hähnchen-Tajine mt Salzzitrone; es sind einfach zuzubereitende Gerichte, die meist längere Garzeiten beanspruchen, unter einer Stunde geht fast nix. Eine Ausnahme ist der Quinoa-Linsen-Mix mit Lachs, ein Gericht aus Marokkos Küstenregion. Interessant und empfehlenswert, es auszuprobieren kein Schaden, ist das Lamm-Tajine, das mit Dörrpflaumen zubereitet wird und nicht mit Datteln, wie ich voreilig vermutet hätte. Dabei gibt es sogar eine eigene Art dieser Frucht, die Maroccopflaume, die mit dunkelroter Haut und gelbem Fleisch sehr saftig und von gutem Geschmack sei, wie Johann Georg Krünitz in seiner Ökonomischen Enzyklopädie ausführt.
Ein Feiertagsgericht ist die Pastilla. Diese herzhafte Tarte, die mit Meeresfrüchten und anderem gefüllt werden kann, ist eine beliebte Vorspeise. In sechs Bilderschritten wird gezeigt, wie die Pastilla „Meer“ gebaut wird. Von der Pastilla gibt es auch süße Varianten, wie die Schoko-Pastilla, die mit der leicht zerfledderten Blätterteighülle an den Apfelstrudel erinnert.
In der dritten Abteilung werden Kleine Gerichte für jeden Tag präsentiert. Das kann so etwas Einfaches sein wie Karottenpüree mit Kreuzkümmel, ein Gericht, das sich nicht entscheiden kann, ob es eine Suppe oder ein Mus ist. Mit dem Rohrzucker bekommt das Püree eine karamellige Note und schmeckt mit ein wenig Zimt bestreut Kindern besonders gut. Ein beliebtes Ramadan-Essen ist Harira, und eine typische Suppe des Landes. Denn das Fastenbrechen vollzieht Alaoui mit Milch und Datteln sowie einer Harira anschließend. Die Harira ist eine Rindfleischsuppe. Wer es lieber vegetarisch mag, versuche den Kichererbsen-Flan oder die Taboulés. Der Tabouleh wird zwar als Salat betrachtet, obwohl kein Salat drinnen ist. Ursprünglich ein Petersiliensalat, ist er das auch nicht mehr unbedingt. Die Taboulés mit Quinoa, Kürbis & Honig und Grantapfel & Mandel haben ich nachgebaut und Freunden an einem Marokkoabend serviert. Sie kamen gut an und wurden restlos verputzt.
Die kulinarischen Angebote an kleinen Mahlzeiten ist enorm wie auch die Bandbreite von Auberginen mit Labneh & Chermoula über vier verschiedene Shakshukas bis zu Reisbällchen mit Thunfisch. Mit Marokko-Burger und Fladenbrot-Pizza werden auch die Geschmacksvorstellungen junger und jüngster Köche berücksichtigt.
Das vorletzte Kapitel ist mit Wunderbare Süße überschriftet. Die hier versammelten Rezepte verführen mit den 1001 Aromen Marokkos. Die Süßspeisen werden traditionell mit Honig gesüßt wie eben die Orangen mit Zimt. Eine Neuschöpfung eines italienischen Klassikers ist das Amlou-Tiramisu, wobei Amlou eine süße Mandelcreme ist, die meist zum Frühstück aufs Brot gestrichen wird. Für die Mandelhörnchen ist dann etwas mehr Zeit einzurechnen. Mandeln über Mandeln geben in den marokkanischen Desserts den Ton an. Auch in den Schnellen Baklava, deren Ursprünge weit im Osten, im levantinischen Raum liegen. Für die Baklava gibt es auch eine Schritt für Schritt Anleitung – mehr muss nicht gesagt werden.
Im letzten Abschnitt werden dann noch Brote, Saucen & Co. vorgestellt. Da geht es ums Fladenbrot, das, wenn es klein ist und aus der Pfanne kommt, Batbout genannt wird. Aus Grieß wird der Khobz-Fladen zubereitet – ein Brot, das zu jedem marokkanischen Gericht passt. Wer mal etwas anderes als Toastbrot für pikante Aufstriche oder Marmelade oder Honig auf den Tisch stellen will, versuche es mit Msenem-Crêpes und die sollten gefaltet werden. Wie das geht, erklärt der Autor in einer Fotostrecke. Jedenfalls erfreuen die Msemen-Crêpes Jung und Alt in Marokko und das zu jeder Tageszeit, ob süß zum Frühstück mit Honig und gehackten Mandeln oder zu einer Harissa-Tapenade zum Aperitf oder als mit Fleisch gefüllter Wrap zum Lunch. In diesem Abschnitt finden Sie nicht nur kuriose Brote wie das Baghrir, ein Fladen mit 1001 Löchern, sondern auch Rezepte von interessanten Saucen und Chermolas; hier zwei Marinaden, die entweder mit Salzzitronen oder Ras el-Hanout zubereitet werden. Und weil es in diesem Land Datteln ohne Ende gibt, macht Abdel aus den übrig gebliebenen Früchten eine Würzsauce – Dattel-Ketchup, das ist Resteverwertung auf Marokkanisch.
MAROKKO präsentiert die marokkanische Küche, die frisch, abwechslungsreich und sehr schmackhaft ist. Alaoui interpretiert sie als einfach, kreativ und zeitgemäß mit Zutaten wie Minze, Kreuzkümmel und süße Datteln sowie jede Menge frischem Gemüse. All das sorgt für farbenfrohe Vielfalt auf dem Teller. Das Buch enthält viele Tajine-Rezepte. Allerdings sind bis auf zwei alle mit Fleisch oder Fisch. Das heißt auch, dass es wenige rein vegetarische Rezepte in das Buch geschafft haben. Was nicht unbedingt den marokkanischen Küchenalltag widerspiegelt.
Die Rezepte sind von einfach bis mittelschwer in der Zubereitung. Schade, dass man gar nichts über kulturelle Hintergründe erfährt, über die marokkanische Kochkultur. Aber es sind authentische, einfache Rezepte, die ihr tagtäglich problemlos zubereiten könnt, behauptet Abdel Alaoui, womit er wohl recht hat – behaupte ich.