Laurent Mariotte, Klassiker der französischen Küche

Über 80 Rezepte

Aus dem Französischen von Anke Wagner-Wolff
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2023, 256 Seiten, (EU) 36.— Euro | (A) 37.10 Euro | CH 45.30 sfr
ISBN 978-3-8369-2198-5
Vorgekostet

Heute reisen wir nach FRANKREICH.

Um den bekannten französischen Fernsehkoch Laurent Mariotte und seine Vorstellung der Klassiker der französischen Küche geht es heute. Unter diesem Buchtitel sind über 80 Rezepte versammelt, die für viele Franzosen mit lieb gewonnenen Erinnerungen verbunden sind. Denn es gibt nichts Schöneres, als seine Zeit bei gutem Essen in geselliger Runde zu verbringen, schreibt er im Vorwort.

Ursprünglich wollte Mariotte eine Sammlung von Familienrezepten herausgegeben. Ganz abgekommen ist er davon nicht, denn einige Rezepte deuten mehr oder weniger eher auf individuelle Speisen-Vorlieben hin als auf Klassiker der französischen Küche, bspw. der Milchreis

Eindeutige Klassiker bilden die Mehrzahl der Rezepte, sind so gesehen in vielen französischen Kochbüchern wiedergegeben. Dennoch gibt es auch einige, oftmals übersehene Klassiker wie den Schweinebauch mit Linsen oder das Toulouser Cassoulet oder die Seezunge Müllerinart

Das Kochbuch über die französischen Essens-Klassiker ist thematisch in vier Bereiche gegliedert. Die Vorspeisen werden von Hauptgerichte & Beilagen abgelöst – so gesehen liegt hier auch ein klassischer Menüaufbau vor – und mit Desserts wird der Dreigang beendet. Am Schluss aber werden noch Grundrezepte nachgereicht, die nicht gerade Standards entsprechen. 

Schauen wir uns ein paar der Rezepte etwas genauer an. 

Die Pochierten Eier in Rotweinsauce auch Oeufs en meurette genannt, sind ein Klassiker der Resteverwertung. Man kochte sie in der Rotwein-Speck-Sauce, die bei der Zubereitung von Boef bourguignon übrig blieb. Und ‚Meurette‘ ist ein Sammelbegriff für gebundene Weinsaucen, die im Burgund zu Fisch, Fleisch oder Eiern serviert werden. Üblicherweise werden die Eier über einer klassischen, mit Mehl angedickten Rotwein-Speck-Zwiebel-Sauce aufgeschlagen. Ein typisches Gericht aus Beaune, findet der passionierte Koch-Dilettant Robert Sprenger. Die pochierten Eier auf goldbraun geröstetem Brot, die mit der Rotweinsauce übergossen werden, ergeben ein lustiges Matschbild auf dem Teller, schmecken zudem köstlich. Das Rezept ist wie einige weitere Ausgewählte, die kompliziertere Techniken erfordern, in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung erklärt, sodass kaum etwas schiefgehen kann. 

Die Quiche Lorraine ist natürlich hier ein altes Familienrezept, da Laurent selbst Lothringer ist. Dieser Ei-Schinken-Kuchen enthält keinen Käse, der gehört nicht hinein wie der Experte betont. Ursprünglich war der Teig ein Brotteig, in der modernen Version ist es entweder ein Mürbe- oder Blätterteig. Hier ist es ein selbst gemachter herzhafter Mürbeteig nach Laurents Grundrezept. Die Füllung aus würziger Eiercreme wird in Lothringen ‚Migaine‘ genannt. Ein anderer herzhafter Kuchen, der östlich von Rhone und Rhein kaum geläufig ist, ist die Pissaladière. Ein sättigendes Gericht aus Brotteig, belegt mit vielen Zwiebeln, Anchovis, schwarzen Oliven und manchmal Tomaten. Also eine Pizza. Und sollten Sie in Avignon beim Bäcker ‚une tranche de pissaladiére‘ bestellen und die Verkäuferin unwissend die Schultern zucken, dann fragen Sie nach der Pizza provencal. Da werden historische Verbindungen nach Neapel sichtbar, nur dass die provencalische Version keinen Käsebelag hat. Manchen liegt die provencalische Pizza wegen des Brotteigs etwas schwerer im Magen, da ist es ratsam, auf einen Mürbeteig umzusteigen.

Bei den Hauptgerichten stoße ich auf Wittling nach Colbert-Art. Das ist der panierte Mittelmeerdorsch, der seinen Namen Jean-Baptiste Colbert verdankt, der Finanzminister Ludwigs XIV. war. Er schrieb über „die Kunst, die Gans so zu rupfen, dass sie unter möglichst wenig Geschrei so viele Federn wie möglich lässt“ und trieb mit Fingerspitzengefühl die Steuern ein. Dass ihm zu Ehren ein Fischgericht benannt wurde, hängt wohl mit der besonderen Zubereitungsart für Fische zusammen, bei der die Gräten entfernt werden, aber nicht der Kopf. Ein anderes interessantes Fischgericht ist Rochenflügel Grenobler Art, vor allem wegen der Grenobler Sauce mit Zitrone und Kapern, die dem Gericht viel Frische verleihen. 

Der Pot-au-feu ist berühmt und seine Zubereitung kein Mysterium, wenn man versteht, dass es sich um zwei Gerichte handelt. Da ist zum einen die Rindsbouillon und zum anderen das gekochte Rindfleisch selbst, das den Großteil seines Geschmacks an die Suppe abgegeben hat. Interessant ist, dass Laurent die Zwiebel schält, was abzuraten ist, da die Schalen der Bouillon erst die Farbe verleihen. Ob die Gewürznelken in die Zwiebel zu stecken sind, das bleibt offen. Hier gibt es so viele Meinungen wie ExpertInnen, die darüber diskutieren. Einig ist man sich beim Anrichten. Dabei werden klassisch die festen Bestandteile und die Bouillon getrennt serviert. Das Mark streicht man auf goldbraun gebackenes französisches Brot. Dazu werden eingelegte kleine Gurkerln und Senf gereicht, wie abgebildet.

Nicht gekannt habe ich das Hähnchen nach Art des Vallée d’Auge, einem Klassiker aus der Normandie. Äpfel, Crème fraîche, Calvados und Cidre sind die Zauberzutaten, die diese Speise zu einer besonderen machen. Apfel passt bemerkenswert gut zum Huhn. Mit relativ wenig Vorbereitungs- und überschaubarer Zubereitungszeit ist dieses Gericht ein ideales Festessen in größerer Runde. Nicht vergessen sollte man, dafür genügend Cidre, das ist Apfelschaumwein, einzukühlen. Dann ist alles perfekt. Und wer sich noch Gedanken um die Nachspeise macht, der wird bei Mariotte auch fündig. Für die, die es süß und schwabbelig mögen, bietet sich die Gestürzte Karamallcreme an. Dafür werden sieben Eier versenkt, also ein Dessert für LeistungssportlerInnen könnte man meinen. Dabei liegt der Grund der vielen Eier im Stürzen der karamellisierten Crème. Süßspeisen, wie die Eiercrème (Crème aux Oeufs), die in der Form serviert werden, benötigen viel weniger Eier.

Wäre jetzt die Erntezeit für Kirschen, hätten Clafoutis oberste Priorität. Dieses ländliche Familienessen ist leicht zuzubereiten: Ein Pfannkuchenteig wird über die Früchte in einer feuerfesten Form gegossen und das Ganze für vierzig Minuten ins Backrohr geschoben. Einfacher gehts nicht. Manche entsteinen die Kirschen, dann muss die Backzeit auf eine Stunde angehoben werden, da sonst der Teig matschig bleibt. Empfehlenswert ist auch, eine geschlossene Auflaufform zu verwenden. Wer nicht bis zur Kirschenzeit Ende Mai warten will, kann Kirschen aus dem Glas verwenden, gut abgetropft. Alternativ können für diesen Obstkuchen aus Eierteig auch andere Früchte verwendet werden. Die Möglichkeiten hängen von Ihrer Fantasie ab.

Ganz anders präsentieren sich die Schneeeier; passen irgendwie auch besser in unsere berggeprägte Region. Sie haben große Ähnlichkeit mit Île flottante, den luftigen Eischneehügelchen, die in einem Meer aus Vanillesauce schwimmen. Zu den Schneeeiern gibt es eine Step-by-Step-Anleitung, was dieses Dessert gelingsicher macht. Meine Enkel lieben sie.

Für meine Chorfreunde musste ich mich entscheiden, ob ich sie mit einer Zitronentarte oder mit einer Birnentarte mit Mandelcreme verwöhnen soll. Ich entschied mich für Letztere und das war eine gute Entscheidung. Die Tarte Bourdaloue, wie sie in Frankreich genannt wird, ist wohl der pariserischste Kuchen von allen. Er wurde in der Rue Bourdaloue erfunden. Die Straße, die nach dem Jesuitenpater und brillanten Prediger Louis Bourdaloue benannt ist, liegt im 9. Arrondissement zwischen den Vierteln von Pigalle und Opéra.  Erfunden wurde die Tarte von dem Patissier Fasquelle, der für den Belag die spanische Ercolina- und italienische Coscia-Birne verwendete. Sie sind von süßem, fein-aromatischem Geschmack, ihr Fleisch ist leicht körnig und sehr saftig. Ich verwendete jedoch Abate Fetel, eine alte französische Birne mit wunderbarem Geschmack und ähnlicher Konsistenz. Dass die Birnentarte schnell verputzt ward, muss ich nicht extra erwähnen, oder?

Generell zeigt sich, dass bei jenen Desserts mit Milchprodukten, mit Ausnahme des Puddingkuchens und für die Crème Chantilly im Baba-Napfkuchen, die Sahne äußerst sparsam eingesetzt wird. Und natürlich dürfen Escoffiers Crêpes Suzette und die berühmten Madeleines aus Sandteig nicht fehlen. 

Aus der Abteilung Grundrezepte erfährt man, wie ein heller und ein dunkler Fond zustande kommen, die Rezepturen von vier Teigen und wie Vanilleeis ohne Eismaschine zur Schleckerfreude wird. Den Abschluss bilden nach einigen Menüvorschlägen diverse Register, die verschieden thematisch geordnet alle Möglichkeiten ausschöpfen, ein Rezept zu finden. Leider blieben die Originalnamen der meisten Rezepte auf der Strecke. Es wäre ein Leichtes gewesen, die französischen Titel zu den deutschen zu setzen. So wüsste ich dann, wenn zum Beispiel auf der Speisekarte Crème renversée au caramel zu lesen ist – Ah, das ist die gestürzte Karamellcreme. Und die Pochierten Eier in Rotweinsauce heißen Oeufs en meurette und …

Die Klassiker der französischen Küche von Laurent Mariotte sind eine passable Sammlung an Rezepten aus der Alltags- wie auch Festeküche. Schade, dass der Autor seine Vorstellung, was diese Speisen zu einem Klassiker der französischen Küche machen, nicht preisgibt. Er auch nicht eingrenzt, ob es eher Gerichte der haute cuisine sind oder cuisine bourgeois oder Bauernküche. Wobei seine Zusammenstellung überwiegend der zweiten und dritten Option entsprechen. Im Vorspann vieler Rezepte lässt der Autor soziohistorisches und kulinarisches Wissen in überschaubarer Menge einfließen. Manchmal hätte ich mir mehr gewünscht, vor allem wenn es um seine fachliche Einschätzung geht. Sehr gut sind die Schritt-für-Schritt-Anleitungen in Bildern, obwohl bspw. im 4. Schritt der Omelettzubereitung nicht ausreichend erklärt ist, wie das Omelett letztendlich zusammengeklappt wird. Ausnahmslos ist die Bebilderung hervorragend. Die Fotos spiegeln detailgenau Arbeitsschritte und Aussehen der fertigen Speisen. Wie sie auch – gelegentlich – französisches Lebensgefühl festhalten. Laurent Mariotte hat mit seiner Auswahl aus den tausenden Rezepten, die Anspruch haben, in einem Buch über Klassiker der französischen Küche Eingang zu finden, einen guten Querschnitt gewählt; gerade richtig für den Einstieg in die Welt der klassischen französischen Küche.