Hisham Assaad, Beirut – Das Kochbuch 

Rezepte aus dem Herzen der libanesischen Küche

Übersetzung aus dem Englischen von Jaques Dubois
Mit Fotografien von Liz und Max Haarala Hamilton
Heel Verlag, Königswinter, 2023, 224 Seiten, 35.- Euro
ISBN 978-3-96664-714-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach BEIRUT.

In die Hauptstadt des jungen Libanon. Einst wie Berlin zweigeteilt, zog sich bis 1990 ein Todesstreifen durch Beirut. Fünfzehn Jahre dauerte der Bürgerkrieg, den christliche und muslimische Milizen gegeneinander führten. Über den Kriegsreporter Gregor Laschen, die Hauptfigur in dem Roman „Die Fälschung“ von Nicolas Born, bekommt man einen guten Einblick in die Geschehnisse und Gräuel des Krieges zwischen Arabern, Moslems, Christen, Palästinensern und weiteren Parteien. Auch über die Lebenssituationen in der zerschossenen Stadt. Das Restaurant war ziemlich voll von Hotelgästen, so dass ihnen ein kleiner Tisch zugewiesen wurde neben dem Gang, über den Kellner eilten. Sie bestellten Arrak, einen klaren dickflüssigen Anisschnaps, den sie mit Wasser verdünnten, und eine Fisch-Mezze, die aus gegrilltem und gekochtem Fisch und einer Menge in kleinen Schalen servierter salat- und gemüseartiger Beilagen besteht. Dazu ein paar Streifen Fladenbrot. Auf der Karte war ein handgeschriebener Hinweis zu lesen, dass Brot knapp sei und Mehl unter großen Schwierigkeiten beschafft werden müsse. Dagegen waren Salat, Hummus, ein Brei aus Kichererbsen, Tomaten, grüne Zwiebeln und Petersilie ausreichend vorhanden.* Beirut ist heute eine unsichtbar geteilte Stadt, die sich vom Gebirge hinunter in Richtung Meer wälzt, Betonklotz an Betonklotz mit Wassertanks auf den Flachdächern. Die letzten Jahre sind geprägt von turbulenten Ereignissen: Coronapandemie, Wirtschaftskrise, Staatsbankrott, ein korruptes System, zudem hohe Arbeitslosigkeit und große Armut. Und als wäre das schon nicht genug des Ertragbaren, erschütterte am 4. August 2020 eine gewaltige Explosion die Hafenstadt. Sie zerstörte auch das letzte bisschen Hoffnung, das den Menschen noch geblieben war, schreibt Hisham Assaad in der Einführung zu BEIRUT – Das Kochbuch. Er wandte sich dem Kochen zu, weil er etwas Produktives tun wollte, während die Welt um ihn herum scheinbar auseinanderbrach. Hisham orientierte und organisierte sich neu, wie viele Beirutis. Er leitete kulinarische Touren durchs Land, kochte in lokalen Restaurants, arbeitete als Foodstylist, ist Food-Blogger und nun Kochbuch-Autor mit missionarischen Ambitionen, nämlich, die Beiruter und libanesische Küche in der Welt bekannter zu machen. Beirut ist ein Schmelztiegel, wird gerne als das ‚Paris des Nahen Ostens‘ bezeichnet. Schon 1970 konnte man in dieser Stadt eine hervorragende orientalische Restaurantküche finden. Libanesische Köche interpretierten die traditionellen Rezepte auf eine leichtere und elegantere Weise. Hisham Assaad setzt dieses Erbe fort, präsentiert neben traditionellen Rezepten angepasste zeitgemäße.

Sein kulinarischer Spaziergang ist in acht Etappen gegliedert, beginnend mit Frühstück & Brunch. Halten wir fest, dass im Libanon der Tag mit einem Mix verschiedener Speisen beginnt. Meist auf Kohlehydrate basierende sowie eine Auswahl an frischem Gemüse und Kräutern. Würden da nicht Gerichte wie Rührei mit Fleisch oder Kartoffeln oder Hummus mit Soujok-Rindfleisch oder Armenische Zimtschnecken mit süßem Tahini  aufgetischt, wir würden glauben, an Beiruts Salatbar zu stehen. Denn Rezepte wie  Dicke Bohnen mit Knoblauch & Olivenöl wie auch Schwarzaugenbohnen mit Knoblauch, Zitrone & Öl  verleiten zu diesem Gedanken. Es sind Hülsenfrüchte und Getreide, die am Morgen dominieren. Natürlich gibt es in den Bäckereien Beiruts verschiedenste Brotsorten. Auch das Pita-Brot, das mit Labneh (Frischkäse) oder Hummus bestrichen, viele Beirutis nicht nur morgens essen. Pita ist wohl das bekannteste Brot aus dem Nahen Osten. Es ist sowohl bekömmlich als auch vielseitig. Nicht anders verhält es sich mit dem Fladenbrot, das ein wahrer Verwandlungskünstler ist. Traditionell mit Za’atar-Topping oder Kishk-Topping  belegt nennt man es Manouche, jedenfalls behaupten das Menschen im Orient. In Italien sagen sie zum belegten Fladen Pizza. Zwei Toppings für zwei Manouche stehen also zur Auswahl. Das bereits erwähnte Za’atar, eine Gewürzmischung auf Basis von Sumach, Sesamsamen und wilden Thymian, vermittelt einen leicht herb-säuerlichen Geschmack. Ein schöner Hinweis des Autors ist, dass man den schwer erhältlichen wilden Thymian durch Baby-Rucola ersetzen kann. Hier, wie auch bei anderen Rezepturen fällt auf, dass Assaad keine fertigen Gewürzmischungen verwendet, sondern die Gewürze zu jedem Rezept immer neu zusammenstellt. Für das Kishk-Topping benötigt man besagtes Kishk (Keshk, Kashk), das eine getrocknete fermentierte Bulgur-Joghurt-Mischung ist und das man nur in arabischen Läden kaufen bzw. im Internet bestellen kann. Mit Manouche bewegen wir uns also durch die Straßen Beiruts. Die pizzaähnlichen Brote, verschiedenst belegt, werden auf Straßenständen angeboten. Auch Kofta in Pita-Brot. Ein Happen in einer Brottasche, fast puristisch, reduziert auf Rinderhack, Zwiebeln, Petersilie und Chilisauce zum Eintunken. Ein anderes Straßenbrot sind die handtellergroßen sesambestreuten Fladen mit einem riesigen Loch, sodass sie wie gebackene Handtaschen aussehen. Aufgeschnitten werden sie mit Ziegenweichkäse und Mozarella gefüllt – was sich würzige Käse-Ka’ak  nennt – und im Ofen kurz erhitzt, damit der Käse schmilzt. In Tripoli ist dieser Imbiss für viele Moslems die letzte Mahlzeit vor dem Ramadan. Was Ungläubige wahrscheinlich wenig kümmert, sondern mehr die Frage, was sie als Nächstes ausprobieren wollen: Falafel  oder Hühnchen-Shawarma oder die Spinat-Pies. Während sie überlegen, gehen wir weiter zum dritten Kapitel, das Salate & Beilagen bereit hält. Hier stoßen wir wieder auf alte Bekannte der levantinischen Küche. Ganz vorne steht für Kenner der ostmediterranen Küche Tabbouleh, sie vergleichen sofort jedes neue Rezept mit dem eigenen. Mir ergeht es ähnlich und für meine Tabbouleh ersetze ich nicht ungern den traditionellen Bulgur durch Quinoa, damit der Salat eine andere Konsistenz erhält. Während Assaad dem Tabbouleh-Rezept nicht über den Weg traut, wenn das Verhältnis der Petersilie zu irgendeiner anderen Zutat zu niedrig ist. Um einige Sätze weiter wieder einzulenken, dass es den Nutzern natürlich frei steht, die Mengenverhältnisse selbst zu gestalten. Er verwendet allerdings sehr wenig feinen Bulgur im Vergleich zu anderen libanesischen Köchen. 

In der Gemüseküche nimmt der Karfiol fast eine Sonderstellung wegen seiner Wandlungsfähigkeit ein. Bei diesem Rezept unterstreicht der Kreuzkümmel den erdigen Geschmack des Kohls. Der geröstete Blumenkohl mit schwarzem & weißem Tahini  ließ meine Karfiol-Fraktion jedenfalls jubeln, mehr ist nicht zu berichten.

Kein Wunder also, dass wir jetzt in häusliche Sphären eintauchen, uns Gerichte auftischen lassen, die in den libanesischen Restaurants nicht so leicht zu finden sind, denn die sind mehr auf Mezze und gegrilltes Fleisch spezialisiert. Willkommen in der Welt hausgemachter Eintöpfe und Aufläufe. Die gefüllten Kohlröllchen  könnten durchwegs als Vorspeise durchgehen, je nachdem, wie viel Sie essen. Die Kombination Kohl und Reis ist jedenfalls köstlich. Was Sie aber nicht versäumen sollten, ist der Linsen-Eintopf mit hausgemachten Nudeln. Ich verwendete Taglietelle und gab noch Granatapfelkerne dazu, was dem Gericht einen syrischen Anstrich gab. Dieses sättigende Wintergericht passt gut in unsere alpine Welt.

Im ergänzenden Festmahl Am Sonntag-Kapitel dreht sich dann alles um ausgedehnte Familienessen. Beliebt sind Pilaws und Grillspieße, aber auch Kibbehs und ein solcher ist der Kürbis-Kibbeh, der aus der Art, d. h. Form fällt. Jedenfalls ist es eine gute Idee, diese klassisch kugelige oder kegelige Form aufzubrechen, um sie dreieckig zu gestalten, ähnlich einem Sandwich. Gefüllt sind sie mit einer Spinat-Zwiebel-Walnüsse-Mischung. In christlichen Dörfern werden sie am Karfreitag zubereitet und sollen an die Kreuzigung Jesu erinnern. Sie nennen es dann Kibbeh für alle, die traurig sind.

Einige süße Überraschungen hält das Dessert-Kapitel parat. Neben Grießkuchen oder -keksen sind es Puddings. Wer das ‚Galertige‘ mag, versuche den Mit Kümmel gewürzten Pudding, der zudem mit reichlich Kokosflocken und Pistazien garniert serviert wird. Allerdings ist Ausdauer gefragt, da es einige Zeit braucht, bis sich das Einweichwasser verflüchtigt hat. Weniger lang dauert das Einkochen des Geschichteten Milch-Orangen-Pudding. Und Sie werden es kaum glauben, es gibt noch zwei weitere Varianten: Reispudding mit Kurkuma & Tahini  und Pudding mit Aprikosenleder. Nach dem Ausflug ins ‚Schwabbel-Reich‘ bietet Hisham noch einige spannende Leckereien an, zwei seien noch hervorgehoben: die Gefüllte Pfannkuchen mit Ashta oder Walnüssen  und eine Ashta-Eiscreme. Für Letzteres wird zum Süßen Mastix verwendet, ein Harz, das in der orientalischen Dessert-Küche wegen seiner elastischen Eigenschaft und seinem angenehm bitteren Nachgeschmack geschätzt wird.

Zum Abschluss des Essens wird in manchen Regionen des Libanon die Obstschale mit verschiedenen Obstsorten gereicht. Immer aber ein Glas Tee mit Zucker. Wasser oder andere Getränke zum Essen zu servieren ist eine relativ neue Sitte im Orient. Dennoch bietet Assaad verschiedene Rezepturen für Drinks an, die einer gewissen Exotik nicht entbehren, zudem erfrischend und belebend wirken. Etwa der Salep-Milch-Drink  wie auch Sirupe aus Bitterorangen  oder Maulbeeren, verdünnt mit Wasser und Eis. 

Am Ende verweist der Autor noch einmal auf Basis-Rezepte der Beiruti-Küche, die vom einfachen Pilaw bis zur Ashta-Sahne  reichen. Die Ashta-Sahne ist die libanesische Version der englischen Clotted Creme und ein feiner Verführer. Kennengelernt haben wir sie auch als Füllung von Pfannkuchen.

Beirut – Das Kochbuch vereint zwei Anliegen von Hisham Assaad: die libanesische und die Beiruti-Küche im Westen bekannter wie auch die Menschen und ihr Lebensumfeld sichtbar zu machen. Beides gelingt ihm sehr gut. Einige der Gerichte sind berühmt, wie Falafel, Fattoush oder Labneh. Insgesamt gelingt es dem Autor, mit den Rezepturen und seinen persönlichen Inputs zu Essgewohnheiten, Geschichte und Spaziergängen das Lokalkolorit der Stadt einzufangen. Es sind vor allem die eingestreuten Fotostrecken,  die Beiruts Alltag sichtbar machen, in den Straßen, auf Märkten, in Backstuben, in Bars und Restaurants. Als Gast setzt man sich zum Esstisch, von dem her einem eine Fülle von kleinen Tellerchen, Schüsselchen und Platten anlächeln – eine Mezze. Alles ist dekorativ und aufeinander abgestimmt, genauso ist das Kochbuch  – eine Einladung, sich zu bedienen. Mit  Beirut – Das Kochbuch taucht man  aus der Ferne in die kulinarische Welt des Libanon ein.

* Nicolas Born, Die Fälschung, Rowohlt Taschenbuch Verlag, München, 1984, Seite 24