Heute reisen wir in die NATUR.
Die können wir in Paris genauso antreffen wie in London, New York, Hong Kong, Gstaad und einigen anderen Städten. Bemühen wir die Antike, dann war Natur gleichzusetzen mit einem inneren Prinzip, das sich auf die Wohlgeordnetheit der Welt als Ganzes bezog. In der Moderne ist das nicht so einfach, da es unterschiedliche und widersprüchliche philosophische Definitionen gibt. Aber ehe wir uns ganz verheddern im Kosmos der Weisheiten, kehren wir zurück zu den einfachen Dingen des Lebens. Wie auch Alain Ducasse, der mit ‚Nature‘ eine Lebensphilosophie vorlegt, die sich mit seiner Art des Kochens verbindet; mehr noch: die sich in ihr manifestiert. „Cuisine Naturelle“ nennt er das und legt eine Kochbuchreihe vor, dessen Leitfaden einer grundlegenden These folgt: Wir sind, was wir essen. Ergo, wenn wir besser essen, dann werden wir auch bessere Menschen. Und schwupps, wurden 150 einfache, gesunde und gute Rezepte kreiert und publiziert. NATURE II, so der Titel, ist im Hädecke Verlag erschienen.
Alain Ducasse ist ein Tausendsassa der Küche, ein Getriebener des guten Essens. Ein Unternehmer, der weltweit rund 30 Restaurants und Hotels betreibt, auch in den eingangs genannten Städten. Wie schafft man es, da noch Kochbücher zu schreiben? Nun, mit 95 % harter Arbeit und 5% Genie ist scheinbar alles möglich. Aber es gibt ja auch noch die Co-Autoren. Christophe Saintagne hat die vielen Rezepte beigesteuert und Paule Neyrat, vom Beruf Ernährungswissenschaftlerin, wachte darüber, dass die Gerichte ausgewogen und einfach sind. Entstanden ist der zweite große Nature-Kochbuch-Band, ein Buch, das, schreibt Ducasse im Vorwort, voller Leben und Gefühl ist.
Das Leben zeigt sich augenscheinlich beim Durchblättern dieses 380 Seiten starken Kochbuchs, durch das sich humorvolle Cartoons und Illustrationen ziehen. Manchmal eingebettet im Text und immer wieder ganzseitig, wird sprichwörtlicher Lebenssinn zeichnerisch umgesetzt. Can Can tanzende Bohnen stehen der Inhaltsseite gegenüber, Leichtigkeit und Lebensfreude versprühend. Auf einer anderen Seite meint eine picknickende Tomate monologisierend: Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah. Oder ein Fischer-Fisch verkündet angelnd: Fischers Fritz isst frischen Fisch nur aus nachhaltigem Fang. Diese Seiten sind Programm und der Einstieg ins Prinzip „Nature“, auch das erste Kapitel. Ein Frage- und Antwortspiel, denn diesen Illustrationsseiten gegenübergestellt sind vertiefende Fragen wie: Das ganze Jahr über Tomaten? Warum lohnt es sich, auf dem Markt einzukaufen? Warum sind Bioprodukte zu bevorzugen? Was bedeutet das, kurze Vertriebswege? usw. Sie werden von Ducasse und Neyrat beantwortet. Es sind kurzweilige und prägnante Aussagen, die Wissen und Lebens-Einstellung vermitteln. Die weiteren Kapitel sind dann den Jahreszeiten gewidmet. Da werden nicht nur Rezepte, sondern auch Gemüse und Obst in Form von Einzelportraits vorgestellt. Der Herbst bevorzugt Kürbis, Reis und Apfel, der Winter Linsen, Sellerie und Birne. Im Frühling kommen Knoblauch, Kartoffel und Erdbeere zum Zug, während Aprikose, Tomate und Feige auf den Sommer warten. Im abschließenden Anhang finden sich noch vier Grundrezepte und ein ausführliches Register, das nach Jahreszeiten mit Themen sowie nach dem Alphabet die Gerichte listet. Als besondere Draufgabe gibt es noch ein Saison-Register nach Kochzeit-Aufwand.
In den Kapitelübergängen begrüßen uns übermütig im Kindchenschema gezeichnete Zutaten. Im Sommer sind dies Apfel und Fenchel, daneben werden dann alle Gemüse und Früchte aufgelistet, die hier mit einem Rezept bedacht sind. Die kalte Zucchinisuppe mit jungem Knoblauch kam uns in diesem hitzegeladenen Sommer gerade recht, ließen uns die gemessenen 35 Grade kurzzeitig vergessen. Auch der Melonensalat mit Portwein, Ingwer und frischen Kräutern punktete mit seiner Leichtigkeit. Aber wann ist eine Melone richtig reif, frage ich mich immer wieder. Und die Antwort liefert in diesem Fall Paule Neyrat, die schreibt: Richtig reif sind die Melonen, wenn sie duften, sich ihr Stiel beinahe löst und sich am Stielansatz winzige Harztropfen bilden. Solche Zusatzinformationen finden sich bei fast allen Rezepten. Wertvolle Anregungen, kochspezifische Tipps, die die Rezepte in ein neues Licht rücken. So heißt es bei diesem mediterranen Gericht mit Mangold, Tomaten und Anchovis, dass man das Blattgemüse Mangold vor allem in Nizza verehrt und es sogar für eine süße Tarte verwendet, die „Tarte aux blettes“. Mich erinnerte dieser Sommerauflauf aber an die Pissaladière, ein provenzalischer Hochgenuss auf Tarte- bzw. Pizzaboden. Wahrscheinlich ist es die Kombination von Gemüse und Fisch. Ein sommerleichtes Dessert ist Clafoutis mit Kirschen und Mandeln, das, schnell zubereitet, Alt und Jung erfreut. Jetzt da die Kirschenzeit vorbei ist, aber die Zwetschgen reif werden, überlege ich mir, es mit dieser Frucht zu probieren. Übrigens findet sich auch ein Rezept für Clafoutis vom Juni-Gemüse, das auch für das Juli- oder August- oder Oktobergemüse angewandt werden kann. So gesehen ist NATURE II also auch anregend und inspirierend, was die individuellen Abwandlungen der Rezepte anbelangt.
Ein Gericht, das im Frühlingsabschnitt offeriert wird, ist Seelachs aus dem Ofen mit Oliven, Tomaten und Basilikum. Eine Speise, die über die ganze lange Tomatenreifzeit gekocht werden kann. Schnell, einfach und es schmeckt wunderbar, was mir unzählige Gäste auch bestätigten.
NATURE II ist ein wunderbares vegetarisches Kochbuch mit verspieltem Layout. Ansatzweise treten die Autoren für ein Nachdenken beim Kochen und für gesunde natürliche Produkte ein. Das wichtigste aber sind die vielen, geschmackvollen Rezepte! Ein Kochbuch für alle Jahreszeiten, was will man mehr?