Heute reisen wir nach SCHOTTLAND.
Dort lebt ein Mann, den die Modezeitschrift Elle so beschreibt: Sehr schottisch, sehr sexy, sehr Outlander. Und meint damit Coinneach MacLeod, besser bekannt als The Hebridean Baker. Um ihn geht es heute, um ihn und sein gleichnamiges Buch. Auf der Titelseite präsentiert er sich mit Pelzmütze, weißem Strickpullover und Kilt, dem Schottenrock, der bis zum Knie reicht. Coinneach steht in einer sandstrandigen Bucht, vermutlich auf den Äußeren Hebriden. Er und Seòras, der West Highland High Terrier blicken in die Ferne. Hinter ihnen zeigt sich der Atlantic und noch weiter hinten eine Bergkette, vielleicht die Black Cuillins. Aber das komische oder irritierende an diesem Titelbild ist die Teigschüssel, die Coinneach an seine Brust drückt, an seinen schönen weißen Pullover.
It is this, it is this that oppresses my soul,
When I think of my uncle’s last words:
And my heart is like nothing so much as a bowl
Brimming over with quivering curds!
Nein, so wie der Bäcker in Lewis Carolls The hunting of the Snark fühlt, das Herz wie nicht umgerührt, als wäre es ein Schüsselchen Quark! so ist es um Coinneach nicht bestellt. Im Gegenteil. Selbstsicher wie ein Nachfahre der Wikinger steht er hier, präsentiert seine liebsten Rezepte und Geschichten von den schottischen Inseln. Jedenfalls verspricht uns das der Untertitel von The Hebridean Baker, das im btb Verlag auf deutsch erschienen ist.
MacLeod ist auf Isle of Lewis, der äußersten Hebrideninsel aufgewachsen, die er – man glaubt es kaum – als unvergleichliche Speisekammer erfährt. Whisky, Meeresfrüchte, Algen, Fleisch, Heidehonig und viel Hafer. Der Hafer hat Tradition, denn früher konnten sich die Menschen im Königreich ein Weizenbrot meist nicht leisten. So beginnen heute noch viele Schotten ihren Tag gerne mit einer Schüssel Porridge. Und was isst Coinneach zum Frühstück, wenn die Nächte länger werden? Richtig, Herbst-Porridge mit Apfel-Birnen-Kompott, das gibt ihm Schwung. Es ist wie ein Erweckungserlebnis mit exotischen Zutaten, neben Kokosmilch auch getrocknete Cranberrys.
Am Beginn aber des Hebriden-Kochbuchs steht Traditionelles am Plan, vereinen sich Klassiker und Nationales im ersten Kapitel. Konkreter: das Shortbread mit einer leicht süßen Note oder die im 18. Jahrhundert kreierte Dundee-Marmalade, die nur durch Zufall erfunden wurde. Ein örtlicher Lebensmittelhändler kaufte die Bitterorangen auf, von einem spanischen Schiff, das im Hafen Schutz suchte vor dem Sturm. Und weil die Sevilla-Orangen zum Essen zu bitter waren, machte Frau Mackay 1797 aus ihnen Marmalade. So wie sie heute noch in diesem Familienbetrieb hergestellt wird und das Rezept ist natürlich geheim. Deshalb weicht Coinneach auf die Orangen-Clementinen-Marmalade aus, die allerdings sehr süß ist, im Vergleich zur Original-Marmalade. Tante Bellag setzt in ihrem Aunt Bellags Duff auch Marmalade ein und möbelt so den Clootie dumpling auf. Vor allem Trockenfrüchte wie Sultaninen, Korinthen und Rosinen kommen in diesen schottischen Pudding rein. Äußerlich sieht er nicht gerade einladend aus, aber noch warm serviert mit custard, der englischen Creme aus Ei und Milch, schmeckt er himmlisch. Marmalade kommt in einigen schottischen Köstlichkeiten zum Einsatz. So werden die Dundee-Mufffins mit ihr bestrichen und in der Traecle Tart verbindet sich die Süße vom hellen Zuckerrohrsirup mit dem bitter-fruchtigen Aroma der Marmalade.
Was wäre Schottland ohne Haggis? Unvollständig, denn dieses Gericht, ein mit Innereien, Getreide und Gewürzen gefüllter Schafsmagen, gehört traditionell auf den Frühstückstisch. Apicius berichtete bereits davon, was aber Coinneach nicht davon abhielt, eine vegetarische Version zu kreieren. Allerdings ist diese Auslegung erst dann genussvoll zu verzehren, wenn man vorher Robert Burns Gedicht Address to a Haggis rezitiert, so verlangt’s der Bäcker. Ja ja, wir sind im Land der Mythen und Legenden und erfahren von den zwei Brüdern, die sich stritten über den richtigen Heimweg mit ihrer Schafherde. Sie kamen nie zu Hause an, denn sie versteinerten und die Monolithen am Strand der Brüder sind der Beweis. Coinneach erzählt viele Geschichten, von Schottland und seine eigenen. Es sind stimmungsvolle Bilder über einen wenig bekannten Landstrich Nordwestenglands. Schöne Heimatgeschichten, die ergänzt mit eindrucksvollen Fotos von Landschaften und Menschen uns ein idyllisches Caledonia vorführen, wie es die Römer früher wohl so nicht sahen. Kopfkino könnte man das nennen, aber im Vordergrund stehen die Rezepte, die in den weiteren Kapiteln sich schwerpunktmäßig wie folgt gruppieren. Kapitel drei enthält vor allem was aus dem Backofen kommt. Vier verfolgt alles vom Land zum Meer und fünf gibt nur kleine Leckereien wieder. In sechs versammeln sich Crumbles & Desserts, um in sieben sich den Fragen der Gesundheit zu stellen. Nicht so wie Sie denken, oder doch? Das gälische Wort Sláinte wird mehr geraunt als deutlich ausgesprochen und drückt aus, was man dem Gegenüber wünscht beim Zuprosten mit Flüssigem, eben, Gesundheit und kippt den Whisky oder Gin in sich hinein. Aber hier geht es nicht um Verkostungen, sondern um Essbares mit Hochprozentigem. Kapitel acht, das letzte, ist eine Einladung zum Backen zum Fest. Weihnachten, wie wir es kennen, gibt es in Schottland erst seit etwa 60 Jahren. In bunten Strümpfen am Kaminsims sind Haferkekse mit Mincemeat und andere Leckereien versteckt. Granny Annags Christmas Cake wird mindestens zwei Monate im Voraus gebacken und natürlich gehört auch der Trifle, hier ein Tipsy Laird-Himbeer-Vanille-Trifle, zum Festbankett.
Wird bei uns mitternächtlich spät zum Jahreswechsel vielfach Gulaschsuppe serviert, so ist es in Schottland Sausage Rolls mit Pork & Black Pudding, eine Pastete, die von Blutwurst, Salbei und Worcestershiresauce geprägt ist. Ja, die Schotten mögen es deftig. Am Neujahrstag gibt es dann Steak-Pie, wenn es nach MacLeod geht. Bis zum Schluss bleibt verborgen, was unter dem Teigmantel verborgen ist – nämlich gutes, saftiges Rindfleisch, das mit Lauch und Staudensellerie angereichert wurde.
Alle Kapitel, bis auf das fünfte und teilweise sechste, orientieren sich an der schottischen Küchentradition. Die kleinen Leckereien nehmen zum Teil Anleihen aus Italien bzw. dem Mittelmeer auf, wie die Biscotti mit Heidekraut oder Macaroons beweisen.
Eine Stärke von The Hebridean Baker ist, dass die Rezepte – mit wenigen Ausnahmen -, mit einer überschaubaren Menge an Zutaten auskommen. Auch, dass Coinneach MacLeod die traditionelle Küche Schottlands hofiert, wenngleich manches Rezept modernisiert und dem Zeitgeist angepasst ist.
Hier muss ich nochmals Lewis Caroll bemühen, genauer, den Bäcker:
Du suchst es mit Sorgfalt – und suchst es mit Salz;
Du jagst es mit Hoffnung und Gabeln;
Du bedrohst seinen Kopf mit Auerhahnbalz;
Du bestrickst es mit Seife und Fabeln -*
Das ist es, was Coinneach MacLeod über die schottische Küche in seinem Lesekochbuch The Hebridean Baker zum Ausdruck bringt. Und, das sollte eigentlich der Schlusssatz sein, aber ich bin noch nicht fertig. Nachdem der Autor ein Inselbäcker ist, dreht sich vieles um Gebackenes, aber nicht nur. Die Erbsensuppe mit Haxenfleisch könnte für alle Erbswurstsuppegeschädigte eine zweite Chance sein. Mir mundete sie ausgezeichnet, wohl auch, weil die Erbsen Gesellschaft hatten, vom Lauch, vom Staudensellerie und ein paar Kartoffeln. Auch die Fischsuppe Cullen Skink zur Burns Night bleibt kein Einzelfall, habe ich mir doch vorgenommen, sie zu einem besonderen Anlass nochmal zu servieren. In Schottland wird sie zu Ehren des Nationaldichters Robert Burns am 25. Jänner, anlässlich seines Geburtstages in vielen Pubs angeboten. The Hebridian Baker steckt voller Überraschungen. Manche Rezepte wurden gar schottisiert, so bspw. das Tiramisu, in dem Coinneach den Amaretto bzw. Marsala einfach durch Whisky ersetzte. Und es wäre kein schottisches Koch- und Backbuch, würden nicht einige der Rezepturen nach malt, bourbon oder Scotch verlangen. Sláinte! Nicht Whisky sondern Gin ist das Herzblut von Der Cèilidh-Martini, der einige Vorbereitungszeit erfordert. Denn den Grapefruitsirup und das Oleo-Saccarum herzustellen dauert seine Zeit – eine Geduldsprobe, die belohnt wird. Auf jeden Fall werden jene belohnt, die mehr als nur einen oberflächlichen Zugang zur Kultur Schottlands suchen. Coinneach lässt uns teilhaben an alten Inseltraditionen, erzählt von den Crofts, das sind landwirtschaftliche Pachtflächen für die Schaf- und Rinderzucht, von den Balladen in gälischer Sprache sogar samt Playlist zum Backen, von der Bedeutung des Torfstechens oder wie die Schotten es schafften, dass ihr Harris Tweed in den USA nicht besteuert wird. Es sind Geschichten mit höchstem Lesevergnügen. Ja, da muss man sich entscheiden: Lesen, Kochen oder Backen? Einige Gartenkürbisse warten darauf, verarbeitet zu werden, da kommt mir das Rezept von den Zucchini-Scones gerade recht.
* Lewis Caroll, Die Jagd nach dem Schnark, Insel Verlag, 1982, Seite 44
You may seek it with thimbles – and seek it with care;
You may hunt it with forks and hope;
You may threaten its life with a railway-share;
You may charm it with smiles and soap –