Joël Robuchon, Die klassische französische Küche

800 Rezepte vom Jahrhundertkoch Joël Robuchon

Aus dem Französischen übersetzt von Annegret Hunke-Wormser, Sibylle Segovia, Katrin Korch und Franziska Weyer

Christian Verlag, München, 2021, 840 Seiten, 69.- Euro

ISBN 978-3-95961-530-3
Vorgekostet

Heute reisen wir nach FRANKREICH.

Wir begeben uns auf Spurensuche nach Joël Robuchon. Der mit 32 Sternen dekorierte Jahrhundertkoch ist leider nur allzu früh verstorben. Hinterlassen hat er der Nachwelt eine Restaurantkette, einige Kochbücher und natürlich viele Rezepte, die seine Handschrift tragen. Viele verbinden mit diesem Koch vor allem sein Kartoffelpüree, das in seiner absoluten Perfektion ein Mischverhältnis von 1: 1 aufweist, also auf ein Kilo Kartoffel kommt ein Kilo Butter. Nun, so extrem wird im Alltag nicht gekocht, auch nicht in Robouchons Restaurants und auch nicht von seinen Schülern. Vielmehr wird Joëls berühmter Kartoffelbrei nun so zubereitet: Ein Kilo Kartoffeln wird mit einem Viertel Kilo Butter aufgeschlagen, in das ein Viertel Liter Milch eingerührt wird. Woher ich das weiß? Natürlich von Joël Robuchon selbst, der das Rezept in seinem Kochbuch Tout Robuchon veröffentlichte, das nun als Die klassische französische Küche im Christian Verlag erschienen ist. Leider ist der deutsche Titel etwas irreführend, denn Tout Robuchon enthält Rezepte für die französische Alltagsküche, d. h., nicht nur aus der klassischen französischen, sondern auch aus der italienischen, levantinischen, maghrebinischen und asiatischen Küche. Robuchons Anspruch war und ist auch ein pädagogischer. Er wollte mit diesem 800 Seiten-Wälzer gewissermaßen Hilfestellung leisten, Fragen beantworten, die Kochanfänger umtreiben, die auch den perfekten Hobbykoch betreffen können. Dieses Kochbuch könnte daher genau so gut ‚Mein erstes Kochbuch‘ heißen, so umfassend sind die Themen, nur stecken darüberhinaus noch 40 Jahre Berufserfahrung eines der weltbesten Köche darin. So gesehen ist es auch ein Standardwerk von hohem Niveau. Robuchon verstand sein Werk als Zusammenfassung unseres kulinarischen Reichtums. Es bietet neben anspruchsvollen Zubereitungen, die teilweise vereinfacht und immer detailgenau beschrieben sind, auch traditionelle, oft regional geprägte Rezepte, überliefert aus einer Zeit, als Speisen oft stundenlang in einer Kaminecke vor sich hin garten.

In der sehr ausführlichen Einleitung wird bereits ein Zug von Robuchons Persönlichkeit sichtbar, der Hang zum Perfektionismus. Saisonal einkaufen, was optimale Qualität und intensiven Geschmack garantiert, ist seine Devise. Und einer seiner unzähligen Tipps: In jedem Fall sollte man dem Geschmack den Vorzug vor dem Aussehen geben und nur reife Früchte und Gemüse kaufen, vorzugsweise auf dem lokalen Markt. Sehr umfangreich und nützlich sind die Saisonkalender für Gemüse, Küchenkräuter, Gewürze, Salate, Pilze, Obst und Fische. Und weil ihm die Kartoffeln so wichtig sind, gibt es zu ihnen sogar zwei Tabellen. In der ersten geht es um die zeitliche Verfügbarkeit, in der zweiten darum, welche Sorte für welches Gericht  sich am besten eignet. So empfiehlt er für Suppen die Bintje oder Estima oder Manon, für Gratins die Belle de Fonteney oder die Sieglinde, für Bratkartoffeln und Püree La Ratte usw. In weiterer Folge gibt es noch einen Schnellkurs zum Thema Kochtechniken und eine Übersicht bezüglich Kochgeschirr, an der man die Voll- oder Unvollständigkeit seines eigenen Haushalts wohl ablesen kann. Eine Benchmark gewissermaßen. Nicht uninteressant ist das Glossar der technischen und französischen Küchenbegriffe, das Sie, sollten Sie wissen, was Coulis ist oder was Nacrer bedeutet, überblättern können. Dann beginnt nämlich schon das erste Kapitel über Fonds und Saucen. Saucen machen den Glanz und die Herrlichkeit der französischen Küche aus, behauptet Julia Child. Die Zahl dieser für viele Gerichte unverzichtbaren Begleiter hält sich in diesem Kochbuch allerdings in Grenzen, wenn man bedenkt, dass Child achthundert Manuskriptseiten nur über französische Saucen und Geflügelgerichte verfasste. Das erste Rezept, Geklärte Butter empfiehlt Robuchon für sehr feine Saucen, wie die Sauce Bérnaise oder Sauce Hollandaise. Diese sind zwar sehr aufwändig in der Zubereitung und meist auch sehr gehaltvoll. Aber wer einmal eine Sauce Bérnaise, Sauce Choron, Sauce Mornay  oder Sauce Mousseline gerührt hat, kann sich einer gewissen Faszination nicht entziehen.

Robuchons Handschrift in den Rezepten der klassischen französischen Küche wird nur im Detail sichtbar. Es sind ganz behutsame Eingriffe, kleine Abweichungen von den traditionellen Rezepturen, die seine Gerichte noch eine Spur verfeinern. Zum Beispiel, der Aioli, dem wohl berühmtesten und beliebtesten provencalischen Gericht, fügt er einen Esslöffel von einer Ofenkartoffel bei, damit sie noch mehr eindickt. Eine gute Aioli ist beinahe fest, wird sie doch auch liebevoll als ‚Butter der Provence‘ bezeichnet. Die klassische Blumenkohlsuppe oder Dubarry wird üblicherweise zur Hälfte mit Kartoffeln angesetzt und mit Kerbel gewürzt, fertig. Zur Eröffnung seines ersten eigenen Restaurants, das Jamin in Paris, kreierte er eine Blumenkohlsamtsuppe, in welcher die Kartoffeln durch Lauch ersetzt werden. Dazu kommen Crème fraîche und Eigelbe, die eine samtige Note erwirken. Wer den Geschmack noch etwas herausstreichen will, kann das Süppchen mit Kaviar krönen. Damit sind wir schon mitten im zweiten Kapitel, das den flüssigen Gerichten und den Eintöpfen gehört. Hier darf natürlich Der klassische Pot-au-feu nicht fehlen, dessen Zubereitung kein Mysterium ist, solange man versteht, dass es sich um zwei Gerichte handelt, die sich kongenial ergänzen. Robuchon bietet noch Varianten mit Ochsenschwanz, mit fünf Sorten Fleisch oder mit gefülltem Huhn an, was die Wandlungsfähigkeit dieses Klassikers andeutet. Serviert wird der Eintopf mit grobem Salz, Würzpasten und Beilagen wie Dijon-Senf, scharfem Meerrettich, Cornichons, kleinen eingelegten Zwiebeln usw., wie einem angehängten Querverweis zu entnehmen ist. Viele dieser ergänzenden Tipps finden sich meist am Ende des  Rezeptes, mit blauer Schrift hervorgehoben. In der heutigen Küche werden für Cremesuppen immer weniger Bindemittel verwendet, denn Gemüse wie Kürbis, Zucchini, Bohnen oder Erbsen dicken die Suppe ausreichend an. Eine der wenigen Cremesuppen, die mit Maisstärke  angedickt wird, ist die Spargelsamtsuppe.

Unter der Rubrik Sättigende Suppen finde ich Die Zwiebelsuppe, die allgemein als die ‚französischste‘ betrachtet wird. Manche finden sie schlicht langweilig; Käsefäden, schlabbriges Brot und halbrohe Zwiebeln schienen Elisabeth David als schwer verdaulich. Aber Robuchons Zwiebelsuppe mit Gruyère Käse im Backofengrill überbacken, lässt unser Suppenherz höher schlagen, selbst meine Enkel schwärmen von dieser Köstlichkeit. Umfangreich ist das Suppenkapitel bis hin zu den Kalten Suppen.

Nun springen wir zu den Vorspeisen, Hors-d’Oevres, wie die Franzosen sagen, was wörtlich übersetzt ‚Außerhalb des Werkes‘ heißt. Unzählige kleine Speisen finden Sie hier, von der einfachen Feine Schinkenstreifen mit Comté bis zur Terrine mit Enten-Foie-gras. Letzteres wird außerhalb Frankreichs wohl wenige LiebhaberInnen finden, aber die Stopfleber gehört nun mal zur klassischen französischen Küche, deshalb erwähne ich sie. Jetzt aber eilen wir weiter zu den Salaten und Vorspeisen. Ein Tummelplatz für alle, die rohe und gekochte Gemüse mögen, die mit einer geschmackigen Vinaigrette veredelt werden. Ob Artischocke, Bohne, Kartoffel oder Löwenzahn, sie spielen hier die Hauptrolle. Ergänzend folgen warme Vorspeisen, die von Kleine Hähnchen-Lauch-Spieße bis zur Wurst im Briochemantel reichen. Letzteres waren der Hit bei einem Kindergeburtstag, allerdings wurden statt der Lyoner Rohwurst Wiener Würstchen im Teig versteckt.

Dem Ei, in all seinen Ausformungen – ob wachsweich oder pochiert in Rotweinsauce oder als Omelettvariationen -, dieser Götterspeise, widmet Robuchon ein eigenes Kapitel. Auch Innereien und Farcen, Geflügel und Kaninchen, Nudel, Reis und Getreide sowie – ein Novum – Regionale Gerichte. Die anderen sind Standard: Fisch und Meeresfrüchte, Wild, Gemüse, Dessert und am umfangreichsten Fleisch. In den Hauptkapiteln finden sich natürlich die meisten Klassiker der französischen Küche – hier ein paar Beispiele: Frittierter Wittling Colbert, Kalbsnieren im eigenen Fett (Rognons à la Baugé), Boeuf bourguignon, Hase auf königliche Art des Senators Couteaux aus Poitou, Kirsch-Clafoutis, Bretonischer Far usw.. Erwähnenswert ist auch, dass Robuchon eine Vielzahl an Lebensmitteln in seinen Rezepten verarbeitet, auch solche, die im deutschsprachigen Raum weniger bekannt sind oder zum Einsatz kommen, wie die Cardy, der Knollen-Ziest, rosa Knoblauch oder Wildgemüse wie der Wiesen-Sauerampfer, der bspw. einem Lachsfilet eine leicht säuerliche Note verpasst.

Die klassische französische Küche von Joël Robuchon ist trotz vernachlässigbarer Schwächen ein Meisterwerk. Manchmal schimmert ein leicht antiquierter Ton durch seine Texte. Wenn Sie sein Rezept Kartoffelpüree nach Joël Robuchon nachlesen, verstehen Sie vielleicht, was ich meine. Und nein, Sie müssen nicht das Kartoffelpüree noch durch ein spitzes feinmaschiges Passiersieb streichen. Das Püree schmeckt ohne diesen letzten Arbeitsschritt immer noch ausgezeichnet. 

Schade finde ich, dass die Rezepttitel, mit Ausnahme, nur eingedeutscht vorkommen. Das verkompliziert manche Suche im Rezeptregister. So suchte ich lange nach dem klassischen Pot-au-feu, der im alphabetischen Rezeptverzeichnis nicht unter P sondern unter D, als Der klassische Pot-au-eu eingeordnet ist. Oder der Wittling nach Colbert; dieses Fischrezept findet man unter F wie Frittierter Wittling Colbert. Französische Originaltitel zusätzlich und ein besser strukturiertes Register hätten mehr gebracht. So betrachte ich mittlerweile manche Nachforschung als sportliche Herausforderung, mit dem positiven Nebeneffekt, dabei auch auf neue Rezepte zu stoßen. 

Und seien Sie nicht überrascht, weil das Kochbuch ganz ohne Abbildungen auskommt. Die Rezepturen sind präzise bezüglich Mengen- wie auch kochtechnischen Angaben, quasi sich selbst erklärend, sodass Bilder nicht nötig sind. Joël Robuchon begegnet uns in diesem Kochbuch auf Augenhöhe, und das macht das Kochen zu einem wahren Erlebnis.