Kit Schulte, Schöne Heimat

Traditionelle Küche wiederentdeckt und neu interpretiert

Fotos von Nora Novak
Illustrationen von Claire Cook
Callwey Verlag, München, 2022, 256 Seiten mit Lesebändchen, 46.30 Euro
ISBN 978-3-7667-2587-5
Vorgekostet

Heute reisen wir durch DEUTSCHLAND.

Heinrich Heine schrieb in Paris DEUTSCHLAND. Ein Wintermärchen. Die Botschaft war eindeutig und das Verswerk Ausdruck seiner kritischen Heimatliebe. Es ist ein Bekenntnis zur Lebensfreude, worin auch das leibliche Wohl nicht zu kurz kommt, wenn er dichtet:

Wir wollen auf Erden glücklich sein, Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann, Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod, So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch Die seligsten Torten und Kuchen.

Also wollen wir erst auf die Ewigkeit warten, um die süßen Leckereien zu kosten? Nein! Wir wenden uns Kit Schulte zu, die nach dem Aufenthalt in der Fremde den Blick zurück warf auf die Kindheit wie auch auf die traditionelle deutsche Küche. Daraus hervorgegangen ist ein Kochbuch: Schöne Heimat. Allerdings ist es zuerst auf englisch erschienen, unter dem Titel modern german food. Der Münchner Callwey Verlag hat nun die deutsche Version veröffentlicht. Und man merkt auch der deutschen Ausgabe an, so meine ich, dass Schöne Heimat ursprünglich für den angelsächsischen Raum geschrieben wurde. In der Art, wie das Kochbuch aufgebaut ist in Sprache und Design. Außergewöhnlich ist, dass es quasi rückübersetzt wurde ins Deutsche, nachdem es eine Deutsche auf Englisch geschrieben hat.

In ihrer Vorbemerkung schreibt Kit Schulte, dass dieses Kochbuch einen persönlichen Einblick gibt in die kulinarische Geschichte Deutschlands, mit Produktbeschreibungen, traditionellen und neu interpretierten Rezepten. Berücksichtigt werden dabei auch Wildpflanzen, Rezepturen mit veganer und vegetarischer Ausrichtung. Kit will ermutigen zum Experimentieren, wobei Gemüse zentral als Schwerpunkt ihrer Gerichte dienen, abseits industriell vorgefertigter Lebensmittel. Schöne Heimat soll also nicht nur Kochbuch, sondern auch Ratgeber sein.

Die Grundlage ihres Kochens aber liefert ihre Mutter, die klassisch deutsches Essen zubereitete für eine siebenköpfige Familie. Über ihren Vater kam das Naturbewusstsein dazu. Aber erst ihr langjähriger USA-Aufenthalt und der Einfluss bewusster, nachhaltiger Ernährung wie Alice Waters in The Art of simple Food praktizierte, änderte Kits Einstellung zum Essen und ließ sie an ihre großmütterlichen Wurzeln des Kochens erinnern. Zurück in Deutschland entwickelte Kit Schulte eine Geschäftsidee. Sie führt englischsprachige Touristen durch Berlins Märkte, kauft mit ihnen auch dort ein, was sie für den anschließenden Kochkurs benötigen. Die Rezepte dazu finden sich in Schöne Heimat, eine Wieder- und Neuentdeckung der deutschen Heimatküche. Aber zunächst muss geklärt werden, was deutsches Essen überhaupt ist. Dafür gliedert die Autorin die kulinarischen Ausrichtungen nach geographischen Kriterien. Der Süden ist mit bspw. Bayern, Baden- Württemberg, Rheinland Pfalz und Saarland belegt, dem ein Norden, mittlerer Westen, sowie Osten mit Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin folgt. Schulte versucht die regionalen kulinarischen Besonderheiten zu beschreiben, was aber nur ein im Ansatz steckengebliebener Versuch ist. Den geographischen Ausrichtungen stellt sie auch Listen von typischen Gerichten dieser Regionen gegenüber. Da erfährt man von Gerichten die Obazda, Dibbelabbes, Dietmarscher Mehlbeutel, Westfälische Rinderwurst, Sorbische Hochzeitsuppe, Berliner Luft usw. heißen. Aber sie werden in diesem Kochbuch nicht oder nur vereinzelt vorgestellt. Die Autorin verfolgt doch mehr ihre eigene Linie, die sich über das Sammeln und Verwerten von Wildpflanzen aufbaut. So werden die ersten Rezepte aus den Bereichen Sirup, Gelee und einfache Gerichte, mit Blüten von Holunder und Linde, sowie Hopfensprossen, Mahonienbeeren und Rosenblüten zubereitet. Auch die Hagebutte, Schlehe, Wildkräuter und andere Wildpflanzen kommen zum Einsatz, karamelisiert, verarbeitet als Pesto die Brennnessel oder Bowle mit Waldmeister. Vergessenem Geschmack und hausgemachten Delikatessen gilt der nächste Abschnitt. Darunter versteht Kit Kräutersalz und -zucker, Senf sowie schwarze Walnüsse, die in Bayern Johanninüsse genannt werden, aber auch Soleier, die Frankfurter grüne Sauce oder Bremer Kaffeebohnen, um einige aufzuzählen. Dem Frühstück zuzuordnen, aber auch der Brotzeit, der ursprünglich deftige Imbiss vor dem Mittagessen der körperlich hart Arbeitenden sind die nächsten Rezepte gewidmet, vom Sauerteig-Brot über die Rote-Bete-Butter bis zum rohen Schokoladen-Haselnuss-Mus. Die weiteren Kapitel sind dann schwerpunktmäßig im Jahreszeitlichen, in Suppen und Eintöpfen, Salaten, vegetarische und vegane Gemüse, traditionelle Fleischgerichte, Fischiges und Nachtischen zugeordnet. Die letzten Kapitel widmen sich dem Obst, Gemüse, Wildpflanzen und Kräutern, die im Kontext des jahreszeitlichen Erntezeitpunkts vorgestellt werden. Schön illustriert und kurz beschrieben werden die Genüsse aus Wald, Feld und Garten, vom Spinat über Spitzkohl bis zu Melde, in Zusammenhang mit dem Einsatzbereich gebracht. Dieser letzte Teil hat mehr Bestimmungscharakter, ein großzügig illustriertes Glossar pflanzlicher Nahrungsmittel. In Verhältniszahlen ausgedrückt, sind zwei Drittel Rezepte und der Rest, salopp formuliert, die Hinführung zur deutschen Küche. Und die Rezepte selbst? Die setzen sich zusammen aus Bekanntem und weniger Bekanntem aus regionaler Küche. Flammkuchen, Kartoffelsalat, Königsberger Klopse mit Kartoffeln, Prinzregententorte dürfte hinlänglich beschrieben sein. Allerdings gibt es beim Flammkuchen eine vegetarische und eine vegane Version dazu. Der Kartoffelsalat wird um eine Westfälische mit Mayonnaise und eine Süddeutsche wie auch Brandburgische ohne Mayonnaise bereichert. Hier sollte noch eingefügt werden, dass die Anleitungsbeschreibungen nicht immer gelungen sind. Beispiel Kartoffelsalat, da heißt es: 1. Kartoffeln abwaschen, kochen, schälen, 2. nach Belieben vierteln, würfeln oder in Scheiben schneiden, 3. alle oben genannten Zutaten in kleine, gleich große Stücke schneiden … was soll das? Zudem ist der Schnittlauch, der als 4. Anleitungspunkt gehackt werden soll, in der Zutatenliste gar nicht angeführt. Bei den Königsberger Klopsen merkt Schulte an, dass es Ansichtssache ist, wie die richtigen Königsberger zubereitet werden, ob groß oder klein, ob ordentlich süßsauer und wieviel Kapern rein müssen. Schultes Rezept der Klopse ist ein akzeptables behauptet hier nun ein Österreicher. Ist die Prinzregententorte, die ursprünglich acht-bödig war, weil sie die acht Regierungsbezirke Bayerns symbolisierten, eine Hommage an Bayerns Prinzregenten Luitpold, so ist der getränkte Zitruskuchen eine Erinnerung an jene bilateralen Warenflüsse, die unseren Marktständlern seit Jahrhunderten Orangen und Zitronen bescheren. Schultes Zitruskuchen, optional mit wildem Fenchel aromatisiert, erinnert mich an den englischen Koch Chris Honor, der seinen Zitronenkuchen mit Basilikum verfeinert.

Schöne Heimat von Kit Schulte ist ein liebevoll gestaltetes Kochbuch, das die traditionelle deutsche Küche anvisiert, um sie neu zu interpretieren. Um das zu bestätigen, müsste man jedes einzelne Rezept genauer analysieren. Stichprobenmäßig ist feststellbar, dass Ideen aus anderen Länderküchen einfließen, dass vegane, vegetarische und glutenfreie Versionen angeboten werden und so die deutsche Küche bereichern. Auch ist ein wesentlicher Anteil in Schultes Rezepten pflanzlichen Zutaten geschuldet. Es sind familienfreundliche Rezepte, die um wilde Aromen ergänzt, zum Experimentieren einladen und so vielleicht auch manches Alltagsgericht vor dem Vergessen rettet.

Heine, der von Deutschlands Schönheit und Lust dichtete, wäre entzückt gewesen über den Rosenblüten Sirup, den uns Kit vorsetzt. Denk ich an Deutschland, dann auch an den Duft von Rosen und Myrten, aber tatsächlich von Bratkartoffeln, Sauerkraut, Pfannkuchen und Rumtopf.