Marina Kasimir, Gugelhupf ganz groß

145 Rezepte aus 300 Jahren

Fotografie von Marina Kasimir, Florian Flaschel und Thomas Johann Höring
Leopold Stocker Verlag, Graz, 2022, 176 Seiten, 24.-- Euro

ISBN 978-­3-7020-2034-7
Vorgekostet

Heute reisen wir ins WUNDERLAND.

Weit zurück in die Vergangenheit. Um im Salzburgischen vielleicht jene Urzeitdame zu treffen, die ihren Brei, ein Gemisch aus zwischen Steinen zerquetschten Grassamen und Wasser, in der Schüssel vergaß um ihn Tage später als blasenbildendes Mus zu entdecken. Leicht säuerlich schmeckte der Pampf und sie entschloss sich, diesen zu backen. Und siehe da, daraus wurde Brot, das viel lockerer als der spröde Fladen aus frischem Brei war. Ja, ja, am Anfang war der Teig … Diese Legende ist eine schöne Annäherung an etwas, das in grauer Vorzeit geschah und nie geklärt werden kann. Marina Kasimir bedient sich dieser Erzählung, um zu erklären, wie die Hefe in die Küche kam. Ein Abfallprodukt aus der Bierherstellung, das vermutlich schon vor 13.000 Jahren zum Backen verwendet wurde. Für sie ist der Hefe- bzw. Germteig immer eine Herausforderung, denn er ist nie ganz störungsfrei. Bevorzugt verwendet Marina den Hefeteig für Gugelhupfe. Und Gugelhupf ganz groß ist ihr Opus magnum zu jenem Gebäck, das gerne an Sonntagen serviert wird und anderswo auch Goglhopffen, Kugel-Hopff, Napfkuchen, Baba oder Couglof genannt wird. 145 Rezepte aus 300 Jahren vereint die Autorin in ihrem Backbuch, das im Leopold Stocker Verlag erschienen ist. 

In sechs Kapiteln werden Gugelhupfe vorgestellt und damit eine Bandbreite sichtbar gemacht, die man in diesem Kuchen mit dem Kamin in der Mitte nicht vermutet. In der sehr ausführlichen Einleitung werden alle wichtigen Fragen beantwortet, die den Gugelhupf erst zum Gugelhupf machen. Das beginnt mit den Formen, die es in unzähligen Größen gibt und aus verschiedensten Materialien hergestellt sind, um in weiterer Folge sich in die verschiedenen Teige, die Zutaten ebenso Maße und auch Backwissen ausführlichst zu vertiefen. Dieser praxisorientierte Theorieteil ist einer der besten und verständlichsten, der mir in einem Backbuch bisher untergekommen ist. Viel Aufmerksamkeit schenkt Kasimir den Aromen wie auch Triebmitteln, erklärt ihre Vor- und Nachteile. Hier hätte vielleicht noch eine Anleitung zum Herstellen von Backpulver gut rein gepasst, wie ich auch etwas mehr zum Thema Mehl erwartet hätte. Aber schon ihre Ausführungen über Glasuren und die verschiedenen Hefeteige versöhnen und ziehen mich hinein in die fantastische und reichhaltige Gugelhupf-Welt. Den Rezepteteil gliedert Kasimir in Germteig-Gugelhupfe, in das Kapitel Klosterküchen-Rezepte, das mit einigen kulinarischen Schätzen aufwartet, in die Hofküchen-Rezepte á la Schratt & Co., weiters in die Rührteig-Gugelhupfe. Kein X für ein U im Gugelhupf sind die zwei Spezialthemen am Ende, sondern den salzigen Gugelhupfen sowie Kriegs-Rezepten geschuldet. Wenn wir einen Blick auf die letzte Sparte, die Kriegsrezepte werfen, dann stellen wir fest, dass diese wieder aktuell sind. Nicht weil Krieg herrscht, wenn doch, dann auf den Lebensmittelmärkten, sondern, weil die Zutaten so teuer wurden. Der billige Gugelhupf ist schön gelb und besteht aus Maismehl, saurer Milch und einem Ei. Noch billiger in der Herstellung dürfte der Gugelhupf ohne Fett und Ei aus dem 1919er Jahr sein, der zudem glutenfrei ist.

Aber viel vielzahliger sind doch die mundigen und raffinierten Gugelhupfe, die viele von uns an die Großmutter erinnern lassen. Einer der ersten qualitativ hochwertigen Gugelhupfe stammt von Anna Juliana Endter und ist dem Buch Vollständiges Nürnbergisches Kochbuch aus dem Jahr 1691 entnommen. Ein wunderbar gelb-oranger, leicht nach Rosenwasser duftender Gugelhupf, dem mit Obers die Trockenheit genommen wird. Der Guglhupf der Anna Plochl aus Aussee ist historisch bemerkenswert, weil daran auch eine Liebesgeschichte geknüpft ist. Anna, Gräfin von Meran, war die Ehefrau des Erzherzog Johann und schickte anstelle von Liebesbriefen immer ihr Kochbuch, in welchem sie ihre geheimsten Stimmungen notierte. Ob der Erzherzog beim Verzehr des Gugelhupfs ins Jodeln kam, ist nicht bekannt.

Sehr viele Gugelhupfe können herkunftsmäßig über den Namen abgeleitet werden. Der Waltersdorfer Gugelhupf kommt aus der Steiermark, bezieht sich auf den Kurort an der Thermenlinie und wird wohl vielen Wienern, die dort zur Sommerfrische weilen, zur Melange serviert. In den Olmützer Gugelhupf wird ein Seitel, das sind 330 ml, Sauerrahm versenkt neben vier ganzen Eiern und acht Dottern. Dieser sehr gute böhmische Gugelhupf wurde 1830 erstmals schriftlich erwähnt. Das weiß ich, weil bei jedem Rezept eine Jahreszahl steht, und so auch eine zeitliche Tiefe der Gugelhupfe transparent wird. Bei vielen Rezepten lässt die Autorin ihr umfangreiches Wissen in kleinen  Randnotizen einfließen. So erfährt man, dass die Bezeichnung ‚ordinär’ bei den alten Rezepten des 19. Jahrhunderts  so viel wie ‚gewöhnlich‘, also ‚bescheiden‘ in Hinblick auf die Anzahl von Eiern und Butter oder Schmalz bedeutet. Ein Böhmischer ‚ordinärer‘ Gugelhupf ist fettarm und aus Germteig.

Natürlich erfreut sich das süße Wien nicht nur seiner Sachertorte, sondern auch an unzähligen Gugelhupf-Variationen. Einige davon sind in diesem Backbuch vertreten. Der Altwiener Patzerlgugelhupf aus abgeschlagenem Germteig ist etwas Besonderes. In ihm vereinen sich zwischen drei und fünf verschiedene Füllungen. Hier eine Variante mit Mohn-, Nuss-, Topfen- und Powidlfülle. Und aus dem Kranz lassen sich die Teile herausbrechen, ähnlich wie die Buchteln aus der Pfanne. Zugegeben, der Batzerlgugelhupf ist aufwändig in der Herstellung, aber eine Versuchung wert. Der gerollte Mohngugelhupf präsentiert sich wie zwei fette Engerlinge in der Gugelhupf-Form; ein saftiges Stück Niederösterreich. Der Mohr im Hemd oder Othello in Camica ist ein im Dunst (Wasserbad) gekochter Schokoladenpudding, der politische correctness vermissen lässt. Allerdings ist der Begriff Mohr so alt wie auch das Rezept und eine Umdeutung so unwahrscheinlich wie alte Gewohnheiten, die nicht auszumerzen sind. Anders verhält es sich mit der Lungauer Grantnnudel, die nicht den Grantler im Visier hat, sondern die Preiselbeeren, die auch in Tirol als Grantn bezeichnet werden. Internationale Küchen betreten wir dann mit Le Kouglof, einem elsässischen Traditionsgebäck. Wie auch mit der slowenischen Nusspotitze, einer Spezialität, die früher auch mit Honig oder sogar Grammeln gefüllt war. Überhaupt lässt sich Gugelhupf so gut wie mit allem befüllen. Der Krebsgugelhupf enthält neben Scheren und Schweiferl der gekochten Krebse auch Krebsbutter, die dem Gebäck eine feine Note gibt. Krebsbutter gibt es eventuell in Feinkostläden, über das Internet oder man macht sie selbst, wie, steht im Buch. Eine weitere Besonderheit ist der Estragonpotitze, der in seiner Fülle Brösel, Obers und natürlich Estragon vereint. Bei den Hofküchen-Rezepten stoßen wir dann wieder auf die Namen Katharina Schratt, Josef Zauner und Otto Desbalmes, die die k & k-Küche mit prägten. Der Gugelhupf seiner Majestät von Hofkoch Friedrich Hampel ist ein Gebäck auf andere Art, die sich mir nicht so genau erschließt, höchsten über die Menge an 12 Eiern, was diesen Gugelhupf auch für Bodybuilder attraktiv macht.

Ganz anderes erwartet uns dann aus den tiefen Küchen der Klöster. Wer hier spartanisch schlanke Gugelhupfrezepte erwartet, wird enttäuscht sein. Denn in den Klöstern wird nicht nur gefastet, man weiß auch zu feiern. Mit dem  Rotwein-Schokoladen-Nuss-Gugelhupf verknüpfen diese wohl die Vorstellung: Ut in omnibus glorifectur Deus! – Damit in allem Gott verherrlicht werde; vor allem beim Nachtisch. Vom Kloster Seitenstetten stammt auch das Rezept für einen Starkbiergugelhupf.

Bei den Rührteig-Napfkuchen fiel mir der Kaffeegugelhupf à la Marinissima auf. Er punktet mit ganzen Kaffeebohnen, die durch das Backen zwar nicht ganz weich werden, aber beim Reinbeißen offensichtlich für einen intensiven Kaffeegeschmack sorgen. Ein Muss für Koffein-Süchtige.

Natürlich könnte ich jetzt noch den Ameisengugelhupf „Tante Helene“, den „Brezen-Gugelhupf“ aus Bayern oder den Käsegugelhupf mit Brie noch genauer vorstellen, aber warum sollte ich Ihnen die Entdeckerfreude verderben? Denn schier unermesslich ist die Vielfalt der Gugelhupfe. Ob Kartoffel, Gemüse, Polenta, Fleisch, Thunfisch, Topfen, Schokolade, Bier oder Eierlikör, so gut wie alles lässt sich in dieser alten, universellen Form verarbeiten.

Marina Kasimir hat mit Gugelhupf ganz groß ein kleines Back-Standardwerk geschaffen. Über 1.800 Rezepte standen zur Disposition, 145 haben es geschafft. Sie spiegeln altösterreichische Genussfreuden, die weit über die Landesgrenzen hinausgehen. Die Autorin versteht es, selbst komplexere Sachverhalte und Rezepturen gut verständlich rüberzubringen und mit Wissenswertem anzureichern. Auch die ganzseitigen Foodfotos und ergänzenden Illustrationen, wie auch die grafische Gestaltung wirken wie eine unsichtbare Kraft, sich hinzusetzen, durch das Buch blättern, innehalten und lesen … um dann, … irgendwann aufzustehen und Richtung Küche aufzubrechen. Ah, der Topfen-Zitronen-Gugelhupf auf italienische Art, den werde ich für die heutige Chorprobe backen.

Und wer glaubt, dass der Gugelhupf zu den alte Oma Rezepten gehört, der wird mit Gugelhupf ganz groß eines Besseren belehrt.