Mirko Mair (Hg.), Genussregion Südtirol

Elf befreundete Köche interpretieren ihre Heimatküche

Fotos von Uwe Spörl
Dorling Kindersley Verlag, München, 2022, 240 Seiten mit Lesebändchen, 51.30 Euro
ISBN 978-3-98541-054-5
Vorgekostet

Heute reisen wir nach SÜDTIROL.

Wenn elf Männer zusammentreffen, dann bilden sie meist eine Fußballmannschaft. Wenn elf Köche sich zu einem Gruppenbild aufstellen, dann weil sie ein ambitioniertes Kochbuch herausgebracht haben. Elf Köche, mehr noch, elf Freunde, allesamt aus der Region Alto Adige, sitzen an einem Holzzaun und lächeln in die Kamera. Der Grund, ihr Kochbuch Genussregion Südtirol ist fertiggestellt. Die Idee hatte Mirko Mair, der die Sichelburg in Pfalzen betreibt. Ein Haus mit 700jähriger Geschichte, nahe bei Bruneck.

Der Anspruch Mairs ist, jene neue Generation von Südtiroler Köchen vorzustellen, die ihre Wurzeln nicht vergessen und doch über den Tellerrand hinausschauen. Es ist vor allem eine junge Generation, Männer Anfang zwanzig bis Mitte fünfzig, die von ihrem Brennen fürs Kochen, von ihrem Werdegang erzählen.

Der Aufbau des Kochbuchs ist einfach und klar strukturiert. In neun Kapiteln werden jeweils sechs Rezepte vorgestellt. Jedem Koch und seinem Haus ist ein Abschnitt gewidmet, mit zwei Ausnahmen. Armin Comploj und Daniel Wolfsgruber kochen zusammen im Hotel Schwarzenstein im hinteren Ahrntal wie auch Daniel Werth und Othmar Raich zusammen im Restaurant Miil in Tscherms nahe Bozen; also jedes Duo ein Kapitel.

Jeder Koch stellt mit seinen Rezepten ein Menü zusammen. Das beginnt mit kalter und warmer Vorspeise, manchmal Suppe oder Brotaufstrich, dann Hauptgang mit Fisch oder Fleisch und dem Dessert als Schlusspunkt.

Aber vorher werden die Köche vorgestellt. Auf ganzseitigen Schwarz-Weiß-Portraits präsentieren sie sich stolz lächelnd. Der Journalistin Verena Duregger ist es vorbehalten, die elf Alphatiere vorzustellen. Behutsam nähert sie sich ihnen in ihrem gastronomischen Umfeld, lässt sie zu Wort kommen. Man erfährt so viel vom Auf und Ab in einem Kochleben, von den Ideen und Geschichten rund um die Gerichte, die sie kreieren. Alles Männer, keine Frauen. Da stellt sich mir leise die Frage, gibt es keine Köchin, die für die Genussregion Südtirol steht? Aber Halt!

Frauen tauchen auf, sie werken im Hintergrund. Maria Gruber ist in Armins Reich – den Lackner Stuben in Algund – für den Service und den Wein zuständig. Auch im Gourmetrestaurant Stüa dla La, das ist Omas Stube im grödnerischen Badia, ist eine Frau für den Weinkeller zuständig. Evelyn Irsara ist eigentlich Lehrerin, aber weil im Restaurant soviel zu tun war, beschloss sie, ihrem Mann Andreas zu helfen. Und Marisa Mair scheint die Seele des Restaurants Sichelburg zu sein. Aber viel mehr noch. Mirko bezeichnet seine Frau als seine rechte und linke Hand. Also können wir davon ausgehen, dass auch die Frauen dieser elf Köche ihren kulinarischen Anteil an der Genussregion Südtirol haben. 54 moderne Rezepte geben Einblick in eine Heimatküche, die sich an traditionellen aber auch globalen Kochvorstellungen orientieren. Neuinterpretation nennt sich das. Regionale Produkte wie Zirbelkieferhonig, Schaftopfen, Schüttelbrotmehl etc., vermengt mit saisonalen Wild- und Wiesenkräutern bspw., ergeben unglaubliche Neuschöpfungen. Hier wird gekocht auf hohem Niveau. Und, das muss angemerkt werden, nicht alles lässt sich leicht nachkochen, weil manche Voraussetzungen nicht gegeben sind. Oder haben Sie Löwenzahnöl zuhause oder Flechtenpulver oder Giersch oder Buddhas Hand? Aber die Rezepte sind Inspiration und geben Anregungen etwas auszuprobieren, das man so noch nicht gekocht hat. So habe ich den Ahrntaler Damhirsch mit Rote Bete und Pastinake ohne Zirbelkiefersalz zubereitet. Wobei auch der Damhirschrücken durch einen normalen Hirschrücken ersetzt wurde. Ein fulminantes Erlebnis, wenn auch die Temperaturführung für den Hirschrücken eine Herausforderung war. Genial, und auf diese Idee muss man erst kommen, ist das Schwarzstein-Tirtl | Zwiebel | Spinat | Almkäse | Topfen. Eine recht aufwändige Vorspeise, die die klassischen Südtiroler Tirteln praktisch in seine Bestandteile zerlegt und dann auf dem Teller auftürmt. Jedenfalls hinterließen diese Tirteln bleibenden Eindruck bei meinen Gästen, wenn sie auch nicht so perfekt wurden. Traditionell sind Tirteln ein polsterähnliches Schmalzgebäck, das süß oder sauer, mit Marmelade oder Sauerkraut, Spinat, Topfen und zerdrückten Erdäpfeln gefüllt ist. Der Teig ist derselbe wie für Schlutzkrapfen, aber anstelle von Öl und Butter verwenden die Schwarzensteiner Köche Milch. Mit allen Zutaten-Bausteinen errichten sie ein imposantes Türmchen, das mit einem konfiertem Eigelb abschließen würde, wäre da nicht noch ein Hut aus Tirtl und Topfennocke aufgesetzt. Auch die Schlutzkrapfen | Schüttelbrot | Ziegenkäse | Apfelbalsamico | Hanfsamen erwecken bei mir Assoziationen, einer kleinen Schar von Freilandhühner. Soviel zur Kunst des Anrichtens. Darin sind alle elf Köche wahre Meister. So ist der Algunder Topfenaufstrich mit Olivenbutter und Graukäse-Kräuter-Mousse angerichtet auf einem erhöhten Holzrahmen mit Glas eine wahre Augenweide, zudem auch ein feines Amuse-Gueule mit besonderer Geschmacksnote.

Auch entdeckte ich einen Zen-Garten mit Steinkreis aus Topfen-Joghurtmousse in Rot, Erdbeerpulver macht das möglich. Das Dessert für vier Personen nennt sich Topfen Joghurt | Erdbeere | Waldmeister | knusprige Haferflocken. Vergleichsweise einfach dagegen ist der Teller mit Jakobsmuschel | Avocado | Tomate | Gurke | Streusel nachzubauen. Vorausgesetzt, man mag Tomateneis, denn das gehört unbedingt zu diesem Farbenspiel dazu. Und noch so ein Hingucker von Armin Gruber ist der Seeteufel mit Risotto | Safran | Guanciale | Gremolata. Dieses Gericht, auf einem tiefen, rot glasierten Teller serviert, ist eine kleine Köstlichkeit, die jedes Gourmetherz höher schlagen lässt. Und falls Sie keinen Guanciale, das ist luftgetrockneter Speck von der Schweinebacke, bekommen, dann ersetzen Sie sie durch Pancetta.

Die Gerichte von Arnold Nussbaumer haben mir besonders gut gefallen, weil er vor allem viel Natur auf seinem Teller vereint. So peppt er ein Buchweizengericht mit Buchenpilzen, Birkenwasser und Bärlauch auf, verwendet Sauerklee für ein Dessert mit Holunder und Marille oder dekoriert den Maibock mit konfierter Kartoffelrolle und Blaukraut-Jus mit Weinkraut, besser bekannt als Raute und unverzichtbarer Bestandteil des Grappa.

Alle Rezeptbeschreibungen sind gut nachvollziehbar hinsichtlich Mengenangaben und Abläufen, allerdings gibt es nur spärliche Zeitangaben. Manchmal weichen Beschreibung des Anrichtens und Abbildung geringfügig ab voneinander, aber das ist marginal. Überhaupt sind die ganzseitigen Rezeptfotos außergewöhnlich stark. Beeidruckend auch die kunstvollen Keramikteller sowohl in Gestalt als auch Farbe, die die Gerichte auf steinigem Hintergrund erst richtig in Szene setzen. Dazwischen eingestreut sind Bilder von Kochszenen, die dem ganzen Dynamik verleihen. Alles in allem ist es auch Werbung für die Häuser, in welchen die elf Kochfreunde kochen.

Es ist erstaunlich, wie vielseitig und malerisch die Gerichte dieser relativ jungen Kochgranden sind. Der Titel Genussregion Südtirol verführt natürlich auch zur Annahme, dass es sich hier um die Südtiroler Küche handelt, was so nicht stimmt. Aber Genussregion Südtirol ist ein spannendes und inspirierendes Kochbuch von Köchen, die die Genusswelt südlich des Brenners weiterhin stark prägen werden. Wer sich auf ihr Kochen einlässt, wird kulinarische Höhenflüge erleben.

Zur Kochbuch-Rezension auf Italienisch