Heute reisen wir nach WIEN.
Mehrere Theaterbesuche sind angesagt. Wir können wählen zwischen dem Theater der Jugend, dem Theater an der Josefstadt, den Kammerspielen, dem Burg- und Volkstheater. Begleiten wird uns die Theaterbetriebsärztin Emillia Nagy. Ihre Idee war es, ein Theater-Kochbuch zu schreiben, in welchem viele Theatermenschen von ihren ganz persönlichen kulinarischen Erfahrungen auf und hinter der Bühne erzählen. Natürlich sind auch nachkochbare Rezepte dabei. Schnitzel Seitenbühne links – könnte auch ein Theatertitel sein – ist im Braumüller Verlag erschienen.
Die Protagonisten sind überwiegend bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler wie Joseph Bartl, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Mavie Hörbiger, Michael Schottenberg, Peter Simonischek oder Grischka Voss, die Tochter von Gerd Voss. Was sie verbindet ist ihr Herzblut für das Schauspielen ebenso wie ihre Erlebnisse mit Kochen und Essen auf den Brettern der Welt als auch Backstage. Es sind amüsante, heitere Geschichten, die hier zusammengetragen wurden. Erstaunlich auch, in wie vielen Stücken Essen eine wichtige Rolle einnimmt.
In neun Kapiteln werden Geschichten und Gerichte zusammengefasst, die nicht im Kochbuch- sondern Theaterjargon überschriftet sind. Da heißen die Kapitel Vorspiel, Erster Auftritt, Im Black, Zwischenspiel, Große Szene usw. Im ersten Backstage-Kapitel kommt die Requisite zu Wort. Es sind geforderte Spezialisten, die mit Bravour Essen nachbauen, das nicht gegessen werden kann. Herausforderungen, wie die französische Apfeltarte für das Stück Monsieur Claude und seine Töchter, sind wahrscheinlich noch ein kleineres Problem als ein genießbares Wahnsinns-Naschfischerl zu kreieren, das einer Ölsardine so täuschend ähnlich sieht, dass man es nicht von einer echten unterscheiden kann. Michael Tasios in den Kammerspielen der Josefstadt schnitt für die Tarte eine Styrodurplatte zurecht und schnitzte mit dem Skalpel die Apfelscheiben hinein. Ins Schwitzen kam Lilija Tchourlina, die Requisiteurin im Theater an der Josefstadt, mit einem gläsern anmutenden Dekanter in Form eines Schwans für die dekadente Jagdgesellschaft im Stück „Rechnitz“ von Elfriede Jelinek. Aber mit einem formbaren thermoplastischen Kunststoff wurde auch dieses Problem gelöst. Und die Sardinen? Sie wurden aus Himbeersirup und Gelatine geformt, mit Lebensmittelfarbe zu genießbaren Silikonfischen getrimmt und auf der Bühne wie Gummibären verspeist. Der nackte Wahnsinn von Michael Frayn macht’s möglich. Und natürlich fließt auch viel Theaterblut in den Aufführungen. Wie dieser besondere Saft hergestellt wird, verrät der Requisiteur Lukas Geihsler vom Volkstheater. Das ist aber eine andere Geschichte.
In einem Bühnenbrevier aus den 1930er Jahren erfahren wir, dass „Echtes Essen auf der Bühne immer eine unangenehme Aufgabe bleibt, deren man sich am besten nur scheinbar entledigt; wenn es aber gar nicht zu umgehen ist, lasse man sich vom Konditor aus Baiser-Teig welchem man nach Belieben Form und Farben zugeben vermag, die Speisen bereiten, was am leichtesten und schnellsten verschluckt werden kann und auch im Weiterreden nicht hinderlich ist.“ Also Beefsteak aus Zuckerzeug, na, guten Appetit! Die ersten Beiträge von Essens-Schaustücken der Requisiteure soll zeigen, dass alles Show ist. Muss aber nicht sein, wie man aus den weiteren Beiträge dann erfährt. Lassen wir uns daher zuerst mit einem Gedichtauszug von Sven-Eric Bechtolf auf kulinarische Großtaten einstimmen:
…
Hat wer Fleisch bestellt im Stück,
Hat er damit nicht viel Glück.
Mümmelnd Schiller zu zitieren,
Wird kein Mime gern riskieren.
Selbst mit einer Scheibe Brot
Hat, wer spielt, schon seine Not.
Krumen rutschen in die Lunge,
Bröseln lähmen rasch die Zunge,
Husten bremst den Redefluss
Und verdirbt den Kunstgenuss.
…
Diese wenigen Zeilen lassen die Gefahrenpotenziale erkennen und der ehemalige Intendant und Regisseur Bechtolf empfiehlt von bröseligem auf cremiges Essen umzusteigen und steuert ein Theater-Kartoffelpüreerezept bei; ohne Muskat, ohne Butter, ohne Salz – ist doch wurscht – Schauspieler fressen alles! Einige Seiten weiter wartet Lilly Nagy doch noch mit einer essbaren Variante auf, in der ist dann alles drin, sogar viel Butter, wie es der große Joel Robuchon immer forderte.
Lucy McEvill veranstaltete viele Abende eine Art Schaukochen im Stück Beautyfree; zwei Stunden lang schnipselte sie und köchelte Hühnersuppe auf der Bühne. Am Ende wurde die Suppe gemeinsam mit dem Publikum verzehrt. Ob das erfolgreiche Kochen auf der Bühne der dadistischen Theater Collage oder der Wahnsinns-Liste an Zutaten und Gewürzen geschuldet ist, sodass die Aufführung ein großes und unmittelbares Vergnügen war, verrät uns die Schauspielerin nicht. Wer dem nachfühlen möchte, kann Lucy’s Hühnersuppe vor Gästen oder Publikum nachkochen. Da ist wahrscheinlich Sarah Viktoria Fricks Erbsenpastete schon einfacher umzusetzen. Und wer diesen Dip serviert, der einfach köstlich ist auf Fladenbrot, sollte unbedingt in die Runde fragen: „Hat er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck?“ Und wer Erbsen nicht mag, es gibt ja genügend Erbswurstgeschädigte, der kann immer noch auf Zwiebelmarmelade umsteigen. Denn, im Leben geht es nur um eine Sache: sich den Bauch vollschlagen, lässt uns Peer Gynt wissen und stellt gleich die Frage: Mit wilden Zwiebeln? Der Dramaturg Hans Mrak setzte sich in seinem Beitrag, die Zwiebel das Theater und ich, mit Ibsen auseinander, ohne dass ihm dabei die Tränen kommen. Der gesprochene berühmte Zwiebel-Monolog im 5. Akt von Peer Gynt ist ein wunderschöner Moment Theater. Und weil Mrak diesen Augenblick auch sinnlich auskosten will, steuert er die feine Zwiebelmarmelade bei, ein Rezept seiner Mutter. nyt maltidet! guten Appetit, wie es wohl in Skandinavien auch heißt. Die Zwiebelmarmelade ist kalorienarm, aber – gesund. Und passt zu Gegrilltem wie auch zu Käse oder einfach als Brotaufstrich. Unbedingt ausprobieren.
Nicht ausprobieren sollte man, mit Gerhard Polt gemeinsam Theater zu spielen. Der Kabarettist Jörg Hube lud diesen ein, mit ihm aufzutreten und das Besondere, Polt sei sein Gast, müsse nichts dabei tun. Und Polt: ja wenn ich Gast bin bei dir, dann möchte ich auch Gast sein, dann möcht ich was zum Essn kriagn und zum Trinka. Dann hams miar a Grießnockerlsuppe bracht, dann an Schweinsbraten und a Bier … und ich war dabei, dem Hubi die Show zu stehlen. Das Essen ist wie ein Hund, und der Hund auf der Bühne zieht die Aufmerksamkeit auf sich. In Thomas Bernhards Dramolett Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese ist es ein Wiener Schnitzel. Genau siebzehn Mal lautet die Regieanweisung „beißt in sein Schnitzel“. Und Beil bringt Licht ins Dunkel aller Unklarheiten zum Wiener Schnitzel bei Thomas Bernhard. Aber Lilli Nagy glaubt, dass es kein Schnitzelkapitel ohne Steirerschnitzel gibt, und liefert das Rezept zu einem steirischen Luxusschnitzel.
Also, Schnitzel Seitenbühne links ist ebenfalls ein Kochbuch, allerdings der etwas anderen Art. Nicht nur, dass bühnentaugliche Rezepte vorgestellt werden. Und das, was auf einer Bühne nicht nachkochbar ist, wird angedeutet und mit den praktischen Erfahrungen der Requisiteure belegt. Es könnte dieses Theater-Kochbuch somit auch als Handbuch durchgehen, und so manche Idee in eigenen Theaterproduktionen integriert werden. Und es muss nicht unbedingt ein Theaterstück als Anlass genommen werden, um ein Sellerischnitzel, Krautfleckerln oder Blinys aufzutischen. Aber wenn sie dann serviert werden, könnte man den Gästen vorlesen, was diese Rezepte mit Tante Jolesch oder Thomas Bernhard oder Tschechow zu tun haben. Schnitzel Seitenbühne links ist ein humor- und lustvolles Theater- wie auch Kochbuch, für das die Verfasser der Rezepte eine Hauptrolle mit Schürze und Kochlöffel übernommen haben.