Alexander Jakabb, Rita Newman, WIRTSHAUS LEBT!

Niederösterreich

50 Wirte - über 100 Rezepte Fotos von Rita Newman
Hubert Krenn Verlag, Wien, 2017, 224 Seiten, 25.- Euro
ISBN 978-3-99005-305-8
Vorgekostet

Heute reisen wir nach NIEDERÖSTERREICH.

Als der Engländer James Leigh Fermor* in den 1930er Jahren auf dem Weg zum Schwarzen Meer die Donau entlang wandert, macht er Quartier im Wirtshaus von Persenbeug. In der Gaststube trifft er auf einen gelehrt wirkenden Mann in Lederhosen und Lodenjanker, mit dem er ins Gespräch kommt. Von ihm erfährt Fermor, dass die Donau der breiteste und artenreichste Fluss Europas ist. Neben Donaulachsen und Zander tummeln sich darin auch der Sterlett und der Hausen, ein Verwandter des Stör, wie auch der Wels. Nach der dritten Flasche Langenlois schauen sie auf die Donau und Fermor notiert in sein Tagebuch: Allen, die an der Donau zu Hause sind, wird der Fluss zur Leidenschaft, und diese Leidenschaft ist ansteckend. Dieser kann sich niemand entziehen.

Mächtig und trennend durchfließt die Donau das Land. Nördlich des Flusses bestimmen Wälder und Weinberge die Landschaft, im Süden sind das Most- und Industrieviertel die Hauptregionen. Die Benennung der Viertel nach Nutzung und Erwerb stammt aus der Monarchie. Eine Ausnahme ist der Wienerwald, südwestlich Wiens, quasi der Endpunkt der Alpen und Übergang zur Tiefebene, der – wie auch der Donauraum -, den Großstädtern zur Erholung dient. Diese Landschaften prägen natürlich die Menschen. Und wo kann man das besser studieren als in den Gasthäusern? Das mögen sich auch Alexander Jakabb und Rita Newman gedacht haben, als sie aufbrachen, die niederösterreichische Wirtshauskultur zu ergründen. In WIRTSHAUS LEBT! lassen sie 50 Wirtinnen und Wirte zu Wort kommen, geben deren Schmankerln in über 100 Rezepten preis. Ihr Blick galt den Töpfen und Pfannen, in denen es brutzelt und zischt, vom Mostviertel bis zu den Wiener Alpen. Die niederösterreichische Küche ist begünstigt durch hochwertige regionale Rohstoffe, die den Geschmack und die Gerichte grundlegend definieren, schreibt Jakabb im Vorwort. Dazu zählen Wachauer Marillen, Waldviertler Mohn, Pielachtaler Dirndln – das sind Kornelkirschen -, Elsbeeren aus dem Wienerwald, Weinviertler Erdäpfel, Wagramer Nüsse, Marchfelder Spargel usw. Nicht zu vergessen der Wein, der über alle Regionen hinweg den Lebensstil und die Tischkultur beeinflusst.

Niederösterreichs Gastwirte sind voll Leidenschaft, ein Eindruck, der spontan beim ersten Durchblättern entsteht. Sie verstehen sich als Genuss-Botschafter ihres Landes. Sie wollen mit ihren kulinarischen Köstlichkeiten nicht nur den Hunger stillen, sondern auch Kultur vermitteln. Deshalb orientiert sich das Wirtshaus-Kochbuch am Regionalen, ihrem Kapital. Die sechs geographischen Zonen sind gleichzeitig die Kapitel. Schlägt man das Buch vorne oder hinten auf, findet man eine schöne Übersichtskarte mit den Standorten aller beschriebenen Wirtshäuser. Pro Kapitel werden fünf bis sieben Wirtshäuser, alphabetisch gereiht vorgestellt. Ein Ausreißer ist das Kapitel Donau Niederösterreich mit 21 Wirtschaften. Wer aber nun glaubt, dass Fisch dominiert, der irrt. In Niederösterreich regiert die Fleischeslust, werden Raritäten wie Beuscherl vom Ötscherblick-Schwein, gebratenes Soisertaler Stubenküken, Krenfleisch vom Waldviertler Weiderind, Kuttln in Weißweinsauce, Susis Reindl – ein ‚zugeputztes‘ Rindsscherzl – , Schweinsrüssel, Winzersteak vom Duroc-Schwein, mit Wachauer Laberl gefülltes Stubenküken und einiges mehr aufgetischt. Die Hauptspeise Fisch wie auch Knödel, Nudeln und Gemüse sind eher mäßig vertreten. Rezepte von Suppen & Vorspeisen sowie Nachspeisen dagegen wesentlich mehr.

Schauen wir uns drei Wirtshäuser nun etwas genauer an.

Da ist der Weinhof Aufreiter in Krems-Angern, der von der Familie Aufreiter-Tanzer betrieben wird. Mitten im Marillenland spielt diese berühmte Wachauer Steinfrucht wie auch die Rebe eine große Rolle. Harald Aufreiter ist für die Landwirtschaft und den Wein zuständig, Ilse und ihre Tochter Katharina sind die Köchinnen mit Schwerpunkt lokaler Küche. Das Zanderfilet in der Waldviertler Mohnkruste mit Braterdäpfeln und Marillen-Paprika-Ragout überraschte in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist die Panier mit Mohn schon ungewöhnlich, wäre nicht noch das Ragout mit den süß-säuerlichen Marillen, das dieses Essen zu einem Erlebnis macht. Natürlich musste ich auch die Wachauer Marillenknödel ausprobieren. Der Topfenteig stellt eine kleine Herausforderung dar. Die ersten Knödel waren ziemlich unförmig, aber irgendwann, ab den gefühlten 20sten, hatte ich es heraus und dann war die Knödelhülle gleichmäßig dick. Immer wieder tauchte ich meine Finger ins Wasserbad und bändigte so den Topfenteig. Geschmeckt haben die Wachauer Marillenknödel meinen Kindern zu gut, ein nächster Termin ist bereits fixiert.

Beim Birnenscheiterhaufen aß Benjamin, ein Spezialist für Scheiterhaufen jeder Art, für zwei, so gut schmeckte ihm dieses ausgefallene Gericht, das mit Rieslingschaum veredelt wurde. Einzig, das Rezept des Scheiterhaufens ist etwas ungenau. Nicht erwähnt wurde, was mit dem Eischnee passiert. Ich habe ihn in die Walnussmasse langsam eingerührt. Eine Alternative wäre, dem Scheiterhaufen mit geschlagenem Eiweiß eine Schneehaube zu verpassen. Franz Schwarzwallner, von dem der Birnenscheiterhaufen stammt, betreibt das gleichnamige Landgasthaus in Michelbach im Mostviertel. Seine Gerichte spiegeln den Verlauf der Jahreszeiten wider. Franz versteht sich auch als Verführer und kredenzt seinen Gästen Speisen, die nicht alltäglich sind. Wer die klare Elsbeer-Lauchsuppe probieren will, findet das Rezept im Buch oder fährt nach Michelbach.

Lustig geht es im Landgasthof Zum Blumentritt zu. Dort regieren die Schwestern Ulli und Christa Hollerer in der Küche. Sie verpassen, so hört man es, keine Gelegenheit, um ausgelassen und fröhlich zu sein. Da kehrt man gerne ein, zumal es dort auch Unbekanntes zu entdecken gibt. Zum

Beispiel die geschmorten Gamsvogerl mit Erdäpfelpüree und Butterkarotten. Aber was sind Gamsvogerl? Die Zutatenliste verrät es: Gamsstelzen, und wir liegen mit der Annahme, dass diese vom Jäger kommen nicht ganz falsch. Interessant sind die Butterkarotten, die ich – so ähnlich zubereitet – nur aus der italienischen Küche kenne. Allerdings lässt Marcella Hazan die Carote brasate al Parmigiano ganz langsam garen, bis sie fast schwarz und butterweich sind, während die Holllererwirtinnen sie bissfest lassen. Die beiden Köchinnen servieren des Weiteren auch eine beachtenswerte Brennnesseleierspeise mit Räucherforelle und Paradeisersauce. Allein das Brennnesselgericht lässt die Bodenständigkeit der beiden Wirtinnen erkennen.

Dass das niederösterreichische Wirtshaus lebt, beweisen die vorgestellten Köchinnen und Köche, wie auch Wirtinnen und Wirte mit ihren hier preisgegebenen Rezepten. Ihre Speisekarten sind reichhaltig an kulinarischen Angeboten und bester Beweis lokaler Dorfgasthauskultur. Einerseits wird vielfach niederösterreichische Hausmannskost geboten und die vor allem selbst gemacht. Andererseits fließen neue Strömungen und Ideen in traditionelle Gerichte ein, wie etwa im Hendlherz im Pergament mit Steinpilzen und Salzitrone, das in der Hofmeisterei Hirtzberger angeboten wird, oder die Nudeltascherln mit Topfen-Parmesanfülle, Ofenparadeiser und Wiesenkräuter vom Jungwirt Andreas Buchinger in Hermannsdorf. Das belebt, lässt hoffen, dass die sich verändernden dörflichen Strukturen über das Wirtshaus positiv auf das Zusammenleben auswirken.

Hier sollte noch erwähnt werden, dass in den niederösterreichischen Donauniederungen auch die Kunst in Personam Daniel Spörri zu Hause ist. Dem Vertreter der Eat Art ist in Hadersdorf am Kamp ein Ausstellungshaus gewidmet und in unmittelbarer Nähe befindet sich sein Esslokal, in welchem neben anderen Gerichten auch die kalte Joghurtsuppe mit Graupen und Minze angeboten wird. Kunst und Essen gehen hier eine spannende Allianz ein, zudem kann man Spörris umfangreiche Kochbuchsammlung bewundern.

Das Kochbuch WIRTSHAUS LEBT! ist eine liebevolle Annäherung an jene Menschen, die die niederösterreichische Gastkultur leben. Die Betreiber sowie die sonst unsichtbaren Geister in der Küche werden mit Bild als auch Text sichtbar gemacht. Die Fotografin versteht es, nicht nur Unscheinbares hervorzuheben, sondern auch die Speisen angemessen zu präsentieren. Dieses Koch- und Gasthausbuch ist gleichzeitig Archiv und Bestätigung einer lebendigen Lokalkultur. Letztlich auch Werbung, quasi eine Einladung, die vorgestellten Gasthäuser zu besuchen. Ich, im fernen Tirol, koche mich weiter durch das große Angebot der niederösterreichischen Küche, lasse mich überraschen, was sie noch bereit hält. Der Erdäpfel-Kürbis-Schmarrn, der Manker Hexenstrudel mit Sauerrahmschaum wie auch die Rosa Brust von der Bauernente mit Maronischupfnudeln und Rotkrautstrudel sind bereits notiert. Aber auch die Wirtshäuser, die ich bei der nächsten Fahrt nach Niederösterreich aufsuchen werde. WIRTSHAUS LEBT!

* A Time of Gifts. On foot to Constantinople: from the Hook of Holland to the Middle Danubes. John Murray Publisher, London, 1977