Sri Owen, DAS REIS BUCH

Geschichte | Kultur | Rezept

Vorwort von Bee Wilson
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Bonn
Illustrationen von Soun Vannithone

Fotos von Yuki Sugiura

AT Verlag, Aarau und München, 2023, 384 Seiten, 50.- Euro

ISBN 978-3-03902-208-3
Vorgekostet

Heute begeben wir uns auf die Spuren des REIS.

Begleiten die Owens auf einer zweijährigen Weltreise, mit dem Fokus auf Oryza sativa, der Reispflanze. Sri aus Westsumatra und Roger aus England sind nicht nur ein neugieriges Forscherehepaar, sie haben auch eine Mission: das Lebensmittel Reis allen Menschen zugänglich zu machen, in Theorie und Praxis. Herausgekommen ist dabei DAS REIS BUCH, das nun vom AT Verlag erstmalig auf Deutsch verlegt wurde – eine tolle Leistung, wenn man bedenkt, dass das englische Original vor 30 Jahren erschienen ist.

Im Vorwort schreibt die bekannte Gastrokritikerin Bee Wilson, dass The Rice Book ihr die Angst nahm vor dem Reiskochen. Und wahrscheinlich wird es vielen Köchinnen und Köchen ähnlich ergangen sein, als sie dieses Kochbuch zur Hand nahmen.

DAS REIS BUCH ist in zwei Hauptkapitel gegliedert. Im ersten Teil, Reis: Rezept für ein gutes Leben erläutert Roger Owen akribisch detailliert das Reisuniversum. Da wird die Kulturpflanze Reis aus verschiedenster Perspektive dar- und vorgestellt, von der Geographie über Biologie und Ethnologie bis zu den Zukunftsfragen spannt sich der Bogen. Owens Schreibstil ist zwar eigenwillig, aber sehr erfrischend und geprägt von typisch britischem Humor. Zum Beispiel: Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen ist es nicht zwingend notwendig, genau diese Sorte zu verwenden (Anm.: im Rezept), aber ich empfehle schon, ein ähnliches Produkt zu besorgen. Ein Fünftel des Buches nimmt dieser theoretische Überbau ein, der einige interessante Aspekte des globalen Reis-Wissens herausstreicht. Bspw. hat Basmatireis die Eigenschaft, dass die Körner beim Kochen länger, aber nicht dicker werden. Oder, dass eine andere Möglichkeit, Reissorten zu unterscheiden, auf der Farbe der Körner basiert. … Roter Reis ist eigentlich eher braun, unter der Bezeichnung ‚brauner Reis‘ ist allerdings meist unpolierter Reis zu finden. Bestimmte rote Reissorten (sogenannter Unkrautreis) werden als störend empfunden, wenn sie auf den Feldern erscheinen, andere alte Sorten werden dagegen kultiviert, insbesondere in Bhutan und in der Camargue. Schwarzer Reis, der eigentlich eher brombeerfarben ist, wird in verschiedenen Varianten in Italien und ganz Asien angebaut. Selbst Reiskenner profitieren von Owens ausführlichen Darstellungen, wenn auch die allerneueste Literatur in seinen Ausführungen nicht berücksichtigt wurde. Das ist kein großes Manko, angesichts Owens kenntnisreicher Beschreibung des Reiskorns mit all seinen Facetten: Er gibt mehr als nur einen kursorischen Überblick. Seine Ausführungen bereiten großes Lesevergnügen, mit manchmal überraschenden Aussagen. Etwa, dass Reis lange Zeit in Westeuropa als Gewürz galt. Weil er im Gewürzschrank gelagert wurde, weil er früher exorbitant teuer war, wie es eben Gewürze waren … Jedenfalls ist seine Schlussfolgerung richtig: Wir müssen wachsam bleiben, wenn wir die absolut unverzichtbare genetische Vielfalt unserer Nahrungsquellen erhalten wollen. Und wenn nicht jetzt, wann dann sollten wir unser Repertoire an Reisrezepten erweitern?

Im zweiten Hauptteil geht es also folgerichtig um die Verarbeitung in der Küche. Mit Reis: die Rezepte überschriftet, gliedert Sri Owen ihre Sammlung nach funktionalen Kriterien in acht Kapitel. Einer kurzen Einleitung folgt dann Grundsätzliches, eben Basics, da geht es zunächst um das Reis kochen – so geht’s und meint die grundlegenden Zubereitungsarten und verschiedenen Methoden, ob traditionell, im Backofen oder andere Gartechniken. Diese wenigen Seiten sind inspirierend und regen an, auch wieder mal von den eigenen ‚eingefleischten‘ Methoden abzuweichen und Neues auszuprobieren. 

In Reis als Beilage praktiziert die Autorin etwas, das für Reispuristen ein No Go ist, nämlich Reis nicht als Hauptbestandteil zu betrachten und alles andere als Beilage. Sri erklärt das so: Ernsthafte Reisesser betrachten Reis als „tägliches Brot“ und sind der Ansicht, dass eine Mahlzeit, die nicht mindestens eine Schale Reis enthält, kein richtiges Essen sei. Diese Menschen erachten gekochten Reis als einzig passende Beilage zu Fleisch, Fisch, Gemüse oder anderen Gerichte. Hier sind Reiszubereitungen versammelt, die als traditionell durchgehen können und von Sri auserkoren sind, mit etwas anderem gegessen zu werden. Ein Zugeständnis an nicht-asiatische Essensvorstellungen, vermute ich. Den Reis mit Kastanien hatte ich als kleine Mahlzeit genossen. Und In Kokosmilch gegarter Klebreis als eine Variante von Milchreis wahrgenommen, die zudem mir eine achtstündige Einweichzeit abverlangte und so eine interessante neue Erfahrung bescherte. Nicht so zeitaufwändig ist der Afghanische Milchreis, der einem englischen Reispudding ähnelt. Milchreis-Varianten gibt es wie Sand am Meer und warum Sri afghanischen und nicht persischen oder einen anderen Milchreis vorstellt, wissen die Götter. Allerdings wird dieser afghanische Milchreis mit Kardamom und Rosenwasser aromatisiert, was dem Gericht eine feine Note verleiht. Auch der schwarze Reispudding könnte als Milchreis aufgefasst werden und für Fans eine Versuchung wert, allein schon wegen der Farbe. Eine Überraschung ist der flämische Reispudding mit Frambozen, wobei Frambozen ein spontan gegorenes Weizenbier ist, das mit Himbeeren aromatisiert wurde. Na prost! Frambozen hatte ich keines bekommen und stattdessen Bier und Himbeersaft verwendet, wie als Variation angegeben. Auch wurde das Bier mit Milch gestreckt, um die Bitterkeit auszugleichen.

Im dritten Abschnitt Snacks und Suppen sind Rezepte eingestellt fürs Frühstück, für ein zweites Frühstück, einen Nachmittagsimbiss oder Picknick. Die Spinat-Reis-Bällchen können im Ofen gebacken oder frittiert werden und lassen sich mit Mozarella problemlos in Arancini verwandeln, na ja, annähernd in italienische Arancini. Die Reiskroketten mit Ei und Curry eignen sich bestens als alternative Vorspeise, und die gekühlte Reissuppe mit Papaya ist eine ideale Erfrischung bei einem sommerlichen Picknick. Überhaupt stecken Sris Reissuppen voll Überraschungen. Etwa die grüne Reissuppe, die ihre grüne Farbe vom Sauerampfer bekommt oder vom Spinat oder von der Brunnenkresse, je nachdem, was Sie bevorzugen.

Reis mit Fisch und Meeresfrüchten verbindet alles mit dem Element Wasser. Die Rezepte dieses Kapitels ergeben eine ausgewogene Ernährung und Sri bringt noch einen schönen Vergleich ein, wenn sie schreibt: Ein Restaurant ist – wie ein Reisfeld – ein Symbol der Ordnung, auf einem Markt dagegen wimmelt es von unbekannten Kräften, genau wie im Meer und sie verknüpft so den Fischmarkt mit dem Reisfeld. Hier stoßen wir auf das berühmte Kedgeree, das die Engländer in den 1960er Jahren dem britischen Frühstück beifügten. Reis in Kombination mit Toast und Butter. Im Vorspann wird ausführlich erklärt, wie dieses Gericht aus den Kolonien übernommen wurde und dass es von Khichri, wie früher genannt, eine ‚feuchte‘ Version – das heißt mehr Reisbrei – gibt. Überhaupt lässt die Autorin viel Kochwissen in die Rezept-Vorspanne einfließen. Wunderbar und geistreich geschrieben, ergeben diese Subtexte fast schon ein Kochbuch im Kochbuch, was die Lesefreude noch mehr steigert.

Dem Fischabschnitt folgen vorhersehbar die Kapitel Reis mit Fleisch und Geflügel sowie Reis mit Gemüse, Tofu und Tempeh und natürlich Kuchen und Desserts mit Reis, um den Rezeptteil ultimativ mit Brühen, Saucen und Gewürzpasten zu schließen.

DAS REIS BUCH von Sri und Roger Owen ist fast ein Handbuch des Reiskochens. Es gibt dem Reis jene Küchenpräsenz, die er als eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel verdient. 150 Rezepte werden vorgestellt, sie geben einen guten Einblick über die vielfältigen globalen Zubereitungen und Reis-Spezialitäten. Nicht alle Rezepte sind „authentisch“ im Sinne von ursprünglich, zuweilen sind sie angepasst dem britischen, das heißt europäischen bzw. westlichen Kochgeschmack. Auch übernimmt Sri Rezepte von befreundeten KöchInnen, wenn es darum geht, andere Länderpraktiken des Reiskochens zu präsentieren. So stammt ein tolles Fischgericht von Alice Wooledge Salmon. Ihr Tian de Sardines ist eine leichte Mahlzeit, Ausdruck von Mittelmeerfeeling, wobei die Sardinen durch Stockfisch ersetzt werden können wie in den Bergen der Provence. Der Reis mit mexikanischem Bohnenmus wird traditionell mit Tortillas serviert und hier nach einem Rezept von Elizabeth Lambert Ortiz eben mit Reis. Ein schwedisches Rezept ist Lachsterrine mit Reis, wofür Alan Davidson original gepökelten Lachs verwendet, Sri aber den frischen bevorzugt. Der Quabilipilaw, ein bekanntes afghanisches Gericht, wird sowohl mit Huhn als auch mit Lamm zubereitet, mit und ohne Rosinen. Nicht fehlen dürfen aber die Karotten, behauptet Helen Saberi, von der das Rezept stammt. Interessanterweise fand ich kein afrikanisches Rezept, obwohl in Westafrika eine autochthone Reissorte, Oryza glaberrima, angebaut wird, wie auch Reis in vielen afrikanischen Ländern zur Alltagsküche gehört. Schade auch, dass über die Herkunft der Rezepte nur spärliche Hinweise zu finden sind. Man merkt der Autorin die Begeisterung, fast Besessenheit an, wenn sie von ihren Erfahrungen erzählt, die sie beim Reiskochen gemacht hat, denn alle Rezepte wurden mehrfach nachgebaut. Die Foodfotos von Yuki Sugiura sind hervorragend ausgeleuchtet – sie konzentriert sich auf das Essen. Hervorzuheben ist auch, dass die meisten Rezepte nicht zu zutatenlastig sind, die Beschreibungen ohne Ausschweifungen gut verständlich. Das erste, theoretische Hauptkapitel ist mit beeindruckenden schwarz-weiß-Illustrationen von Soun Vannithone aufgelockert, sie verleihen diesem Reiskochbuch eine besondere gestalterische Note. Ein ausführlicher Index lässt kaum Fragen offen und das Zutaten-Glossar erklärt alles von Andouille bis Zitronengras. So bleibt nur noch der Wunsch, dass Sri Owens Wunsch sich erfüllt und DAS REIS BUCH „praktisch in jedem Teil der Welt von Nutzen ist und noch viele Jahre bleiben wird“. Der britische „Guardian“ wählte DAS REIS BUCH zu einem der 50 besten Kochbücher aller Zeiten.