Thomas Reinertsen Berg, Die Geschichte der Gewürze

Genuss, Gier und Globalisierung

Übersetzt aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob, Frank Zuber und Justus Carl
Haupt Verlag, Bern, 2023, 360 Seiten, 39.10 Euro
ISBN 978-3-258-08357-5
Vorgekostet

Heute reisen wir nach NORWEGEN.

Das ist aber nur der Ausgangspunkt einer Geschichte oder besser vieler Geschichten, in deren Mittelpunkt Gewürze stehen. Exotische Gewürze.

Am Anfang aber dreht sich alles um einen Brief, einen Begleitbrief zu Geschenken. Mit einem Boten sendet Frau G. ein Eisbärfell und einen Walrosszahn, zusammen mit zwei Silberlöffeln in das Kloster in Paris, in dem ihr Bruder Abt ist. Als Gegenleistung bittet sie ihren Bruder um Nelken und Zimt. Der Brief kommt vermutlich aus Trondheim, das im Mittelalter das wichtigste Handelszentrum des Nordens war. Der Brief ist auch das älteste Zeugnis von Gewürzen, das in Norwegen gefunden wurde. Geschrieben zwischen 1162 und 1172, zu einer Zeit, in der etwas früher der Norwegerkönig Sigurd I. zum Kreuzzug aufbrach und die Stadt Sidon im heutigen Libanon eroberte. Allerdings gelang ihm das nur mit Hilfe der Venezianer und die hatten ihre eigenen Interessen. Sie waren die wichtigsten Importeure von asiatischen Gewürzen in Europa, schreibt Thomas Reinertsen Berg in Die Geschichte der Gewürze, das im Haupt Verlag erschienen ist.

Berg begibt sich auf eine historische Reise. Er spürt der Geschichte der Gewürze nach, die in erster Linie eine Globalisierungsgeschichte ist. Dem entsprechend weit zurück, und noch weiter als die Menschheitsgeschichte zurück geht der Autor um auch erdgeschichtliche Zusammenhänge, die für die Einzigartigkeit bspw. des Nelkenbaumes oder der Muskatnuss verantwortlich sind. Das vergisst man allzu leicht, vor allem dann, wenn man eine Gewürzhandlung betritt. Da wird man vom Duft hunderter Gewürze begrüßt. Unser und Bergs Interesse gilt aber jetzt jenen sechs Gewürzen, die sich in der Weltgeschichte als besonders bedeutungsvoll erwiesen haben. Es handelt sich um Ingwer, Zimt, Kardamom, Muskat, Nelken und Pfeffer. 

Bleiben wir bei den Gewürznelken: Die erste Nelke der Welt öffnet sich mit über Millionen von Jahren aufgestauter Kraft. Die bleiche, kleine Knospe wird grün, dann hellrot, bis sie schließlich ihre rosa-weiße Blüte entfaltet. Auf acht Inseln der Molukken, die zu Indonesien gehören, wachsen auf den Vulkanhängen bis heute die Nelkenbäume. Die Inder gaben den Nelken den Namen «varisambhava», was «aus dem Meer emporgestiegen» bedeutet. Es hat sicher nicht lange gedauert, bis die Menschen die Nelken gefunden haben, denn deren Duft riecht man schon von Weitem. Zunächst waren sie ein begehrtes Tausch- und später Handelsobjekt. In Terqa, einer Siedlung am Euphrat, fand man bei Ausgrabungen Tonkrüge mit verkohltem Inhalt. Die Dokumente, die auch gefunden wurden, belegen, dass es Puzurums Lagerräume waren, die abgebrannt sind. Neben einer Waage, Gerste und Schuldbriefen fanden sie auch Reste verbrannter Nelken. Der Brand war so stark, dass die Decke einstürzte und alles unter sich begrub. Das war vor 3.700 Jahren. Rund 10.000 km beträgt die Luftlinie zwischen den Molukken und Puzurums Haus in Mesopotamien. Der Fund beweist die frühen Handelsaktivitäten mit den begehrten Gewürzen. Karawanenwege führten nach Norden ins südliche China und nach Westen bis nach Griechenland. Bei den Hellenen ist es zunächst der wohlduftende Rauch von teuren Gewürzen, was als Zeichen der Wertschätzung für die Götter gedeutet wird. Ein medizinisches Buch aus dem 4. Jhdt. beschreibt, wie man Krankenzimmer mit dem Rauch von Nelken und Muskat reinigen kann. Nelken wurden genutzt, um Zahnweh zu lindern, und gegen schlechten Atem. 

Sehr ausführlich beschreibt Berg, wie die sechs Gewürze zum Spielball der Königshäuser und von Nationen wurden. So gab es einen Streit um Gewürze zwischen Spanien und Portugal, der mit einem Strich und dem Segen des Papstes beendet wurde. Westlich des Striches gehört alles Spanien, östlich davon alles Portugal. Im Mittelalter bspw. hat man sechs- bis siebenmal mehr gewürzt, als wir das heute machen, obwohl die Gewürze damals ja viel wertvoller waren. Im 16. Jahrhundert wurden Gewürze in Europa mit Gold aufgewogen. Wohl der Hauptgrund, keine Kosten und Mühen zu scheuen. Ein knappes Jahr dauerte die Reise um die halbe Welt – dass Schiffe und Seeleute dabei verloren gehen, war einkalkuliert. 

Nochmals zu den Nelken, die viele von uns mit Weihnachtsgebäck verbinden. In einigen nordeuropäischen Ländern gibt es eine alte Geschichte, die ihren Ausgangspunkt darin hat, dass man eine Apfelsine vor Weihnachten mit Nelken spickt. Dann zieht man jeden Tag eine Nelke aus der Apfelsine, um zu wissen, wie weit der große Tag noch entfernt ist. Die Tradition dieses «Adventskalenders» ist jedoch viele Jahrhunderte alt und hat gar nichts mit Weihnachten zu tun. Sie stammt aus der Zeit, in der man in Europa glaubte, dass eine mit Nelken gespickte und an die Decke gehängte Apfelsine die Luft so gut reinige, dass man vor der gefürchteten Pest geschützt sei. Im 16. Jahrhundert hingen mit Nelken gespickte Apfelsinen in den Fenstern der Menschen, die sich diesen Luxus leisten konnten. Andere hängten sich Muskatnüsse um den Hals, um sich zu schützen. Es half nichts, das wissen wir heute. Und ob das Kauen von Nelken, Kardamom und Zimt das Liebesspiel fördert, muss wohl jeder und jede selbst ergründen. Jedenfalls empfiehlt das Kamasutra diese Mischung, nicht als Aphrodisiakum, sondern für einen wohlriechenden Atem. 

Berg analysiert sehr breit die Bedeutung der sechs Gewürze für die Menschheitsgeschichte. Die Andeutungen in der Literatur, welch wildes Feuer der Leidenschaft sie entfachen, kaum dass der Liebestrank geleert, ist die lustvolle Seite. Entbehrungen und Tod die andere. Männer wie Christoph Kolumbus, Vasco da Gama und Magellan nahmen das in Kauf, um die Passage und damit kürzeren Reiseweg nach Ostindien und zu den Gewürzinseln zu finden. Für den Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith waren diese Entdeckerfahrten die wichtigsten Begebenheiten in der Geschichte der Menschheit. Mit Gewürzen wurden die Niederlande zu einer Großmacht. Welchen Stellenwert Gewürze im heutigen Marktgeschehen bis hinauf in die Börse haben, davon und von einigem mehr handelt Die Geschichte der Gewürze.

Über den Einsatz der Gewürze in der Küche berichtet Berg auch. Wenn auch nicht sehr ausführlich und nicht auf heutige Kost eingehend. So erfährt man zB, dass sie in Eritrea und Arabien den Ingwer frisch verzehren wie wir Lauch, dass sie Suppen daraus kochen und in Mehl anschwitzen. Dass für eine fabelhafte Soße zu gegrilltem Hühnchen man Zwiebeln nimmt, sie in klarem Wasser mit Pfeffer, Salz und ein paar Brotkrümeln kocht . So steht es in dem Haushaltsratgeber The English Huswife von 1615. Die Gewürznelke ist heute vielfach im Einsatz, um Marinaden, Saucen und Fischgerichte zu würzen. Der Koch Heiko Antoniewicz meint dazu: Generell dosiere ich Nelken sehr vorsichtig, sie überdecken gern alle anderen Aromen mit ihrer Präsenz. Deshalb kommen im französischen Rindfleischeintopf Pot-au-feu traditionell drei Nelken zum Einsatz. Interessanterweise findet die von mir sehr geschätzte Elisabeth David es nicht nötig, in die Zwiebel Gewürznelken zu stecken, um damit den Eintopf zu verfeinern. Anders sieht das Julia Child, die ihrem Potée Normande einen kleinen Aroma-Anschub mit in Zwiebeln gespickten Gewürznelken verleiht. Wer es ausprobieren will, der koche das einfache Pot-au-feu-Rezept von Laurent Mariotte nach – einmal mit und einmal ohne Spickzwiebel.

Die Geschichte der Gewürze von Thomas Reinertsen Berg ist ein sehr schön gestalteter Begleiter auf den Pfaden der Gewürzrouten, die uns in die entlegendsten Weltteile führen. Von Norwegens nördlichster Stadt bis zu den Vulkanen Indonesiens, von der frühesten Erdgeschichte bis heute, von Handelsexpeditionen, -wegen, -städten und -leuten bis zu Handelsverträgen und -boykotten; davon und noch um einiges mehr handelt dieses großartige Werk. Berg kommt ohne Theorie – was ist ein Gewürz? – aus. Auch gibt es keinen Hinweis, warum Berg den Curry, den Safran oder die Vanille bspw. außen vor lässt. Vermutlich ist die Geschichte eben dieser und der anderen Gewürze nicht so spektakulär und skurril. Welch Arbeitspensum der Autor bewältigte, lässt sich aus der inhaltlichen Bandbreite erlesen wie auch aus dem 13 Seiten umfassenden Literaturverzeichnis. Dabei liest sich Die Geschichte der Gewürze leicht verständlich und höchst vergnüglich, verführt manch eingestreute Geschichte bzw. Anekdote zum Schmunzeln. So lässt die Braut im französischen Roman Cligès von Chrétien de Troyes ihrem Gatten einen Trank servieren, in dem so viele Gewürze enthalten sind, dass sein Kopf von erotischen Vorstellungen erfüllt ist. Diese lassen ihn glauben, die Hochzeitsnacht übersteige all seine Erwartungen, während die Heldin in Wahrheit unberührt bleibt. 

Heute sind alle exotischen Gewürze für uns leicht verfügbar. Wer nach der Lektüre dieses Buches auf sein Gewürzbord schaut, versteht, wieviel geschehen ist, seit die unerschrockenen Seefahrer auf der Suche nach der Route zu den Gewürzinseln aufbrachen. Und nicht zufällig lautet der Untertitel: Genuss, Gier und Globalisierung.