Véronique Witzigmann, SÜSSES

Das große Backbuch

Mit Fotografien von Volker Debus

Callwey Verlag, München, 2022, 240 Seiten, 46.30 Euro
ISBN 978-3-7667-2554-7
Vorgekostet

Heute reisen wir ins Land der Verführer.

SÜSSES ist angesagt, das für viele immer eine Versuchung wert ist. SÜSSES ist auch der Titel des neuesten, großen Backbuchs von Véronique Witzigmann. Frühe erste Versuche in der Patisserie-Küche ihres Vaters Eckehart Witzigmann waren wohl eher experimentell, galt es, einem ausgerollten Blätterteig Löcher in seine Form zu stechen. Welch Kostbarkeit sie malträtierte, wurde ihr erst später bewusst. Dennoch, das Interesse an süßem Backwerk blieb und nach einigen Anläufen und Versuchen – ihre erste Sachertorte scheiterte beim Guss – ist die Welt des Backens ihre geworden. Heute eine Sachertorte zu backen ist für Véronique nur noch eine Fingerübung und gleichzeitig der Ausgangspunkt für ihr Backbuch. Ihre Überlegungen, welche Informationen Anfänger wie auch Fortgeschrittene benötigen, um sie bei der Stange zu halten, die Freude am Backen zu wecken, hängen wohl mit ihren eigenen ersten Backversuchen zusammen. Und so ist ein Backbuch entstanden mit mehr als nur Rezepten für Torten, Kuchen und anderen süßen Gaumenkitzeln.

SÜSSES – Véroniques Backbuch – splittet sich zuallererst in zwei Blöcke, den Theorieteil und die Rezepte. Also: Wer glaubt, dass so etwas Einfaches wie ein Backwerk aus Mehl, Ei, Zucker, Aromen, Kneten und Hitze keine Theorie braucht, der irrt. Zwar sind die allermeisten Backrezepte erprobt und gelingsicher, aber ein wenig Grundwissen schadet nicht. Und so werden in diesem ersten Kapitel, zum Teil von Gastautoren, einige Basics näher erläutert. Das beginnt bei den Backutensilien, setzt sich fort mit Füllungen, d. h., den Basisrezepten diverser Cremes, geht über in aufschlussreiche Erklärungen unterschiedlichster Teige samt ihrem Aufbau und endet bei den Zutaten wie Mehlsorten, Ei sowie Schokolade. Natürlich macht sich die Autorin auch Gedanken über Aromen, die letztlich erst das Süße zu einem Wow-Erlebnis machen. Dieser Theorieblock genügt zum Einsteigen, wenn ich mir auch manches etwas ausführlicher gewünscht hätte. Bspw. hätten die Ausführungen über Mehle etwas differenzierter ausfallen können, wie auch die über die Triebmittel. Etwa, was tun, wenn kein Backpulver im Hause ist? Einfach selber herstellen, würde ich vorschlagen: Mischen Sie im Verhältnis 2:1 eine Säurekomponente (Weinstein oder Zitronensäure) mit Natron. Fertig. Das selbstgemachte Backpulver ist ca. zwei Monate haltbar. Gut gefallen haben mir die Ausführungen von Jörg Bruch über Binde-, Gelier- und Verdickungsmittel. Auch die Praxistipps für den Notfall sind kurz, aber wirkungsvoll. Und dann gilt es noch einiges zu beachten, bevor es los geht, Überlegungen, die man allzu gerne übersieht und von Witzigmann zum Teil mit Fotostrecken erklärt werden. Dazu zählen Tipps zum Schneiden von Kuchen und Torten, das Handhaben von Spritzbeutel, Tortenrandfolie usw..

Aber dann geht’s los, mit den Rezepten für Festtags- und Geburtstagstorten und -kuchen oder anderen Gebäcken. Diesen zweiten Hauptteil gliedert Véronique in vier Untergruppen: Torten & Törtchen, Teilchen, Kuchen & Tartes sowie Alternativrezepte. Letztere beziehen sich auf gluten-, zucker- sowie laktosefreies Backwerk, so kommt bspw. der spanische Orangenkuchen ohne Mehl und Butter aus. Insgesamt werden 70 verschiedene Backrezepte vorgestellt, vom Klassiker bis zum neuesten Trendgebäck, zu welchen für mich etwa die Teff-Schoko-Cookis zählen. 

Den Rezeptereigen eröffnet eine Königin der Back- und Konditorskunst, die Sachertorte, deren Schokoguss nach original Anna Sacher so zu machen ist: Für die Glasur Zucker mit Wasser kochen lassen, bis er sich spinnt. Dann die Schokolade dazugeben und abtreiben, bis die Masse glatt ist, aufkochen lassen, passieren, noch einmal aufkochen lassen und in der Kasserolle so lange rühren, bis die Glasur genügend dick ist.* Ehrlich, ich wäre wahrscheinlich auch an dieser Erklärung gescheitert. Aber wie macht es nun die Autorin? Die Sahne mit dem Zucker in einen Topf geben und bei mittlerer Hitze aufkochen. Die kochend heiße Sahnemischung über die Schokoladenstücke gießen. Mit einem Pürierstab die Masse gut vermischen. Dann die Butter in Stücke schneiden, dazugeben und alles zu einer cremigen, homogenen Masse verrühren. Das liest sich nicht nur verständlicher, es ist auch nachvollziehbar. Die Verteilung der handwarmen Glasur auf den Kuchen perfekt hinzukriegen ist dann eine andere Frage, vor allem eine der Übung. 

Véronique Witzigmann präsentiert neben Klassikern wie Malakoff Torte, Prinzregententorte, Frankfurter Kranz und andere auch Ausgefalleneres wie die Nuss-Apfel-Schnitte, den Wickelkuchen mit Maronicreme-Kugeln, Windbeutelringe mit Walnusscreme oder die berühmte Engadiner Nusstorte. Letztere weicht vom Original leicht ab. Nicht nur änderte Véronique die Form von rund auf viereckig, sondern lässt auch den Teigdeckel weg und mischt unter die Baumnüsse, wie die Helveten zu den Walnüssen sagen, Pekannüsse. Wie die Puristen der Schweizer Küche das aufnehmen werden, wird sich noch weisen. 

Der Versuch, mit den Enkeln Schweineohren zu backen, war ein Geduldsspiel, aber es klappte, und die Freude riesig beim Verzehren der selbstgemachten knusprigen Öhrchen. Auch der spanische Orangenkuchen ohne Verzierung mit eingelegten Kumquatscheiben kam bei meinen Chorfreunden gut an. Der leichte, durchscheinende Bittergeschmack von den Orangenschalen, die durch den braunen Rohrohrzucker noch eine besondere Note bekamen, überraschte viele und die Trefferquote in der Beantwortung, um welche Frucht es sich handelt, gegen Null gehen. Jedenfalls war der Kuchenteller ratzeputz leergefegt und die Nachfrage nach dem Rezept groß. Mein Problem war eher, richtig gute Orangen aufzutreiben. Daher wird spätestens im November derselbe Kuchen noch einmal gebacken, mit frisch vom Baum gepflückten Orangen aus Sizilien. Einige meiner MitsängerInnen freuen sich jetzt schon darauf.

SÜSSES von Véronique Witzigmann ist ein opulentes Backbuch, im fast quadratischen Großformat mit schön gestaltetem, übersichtlichem Innenteil. Die Fotos von Volker Debus sind höchst anschaulich und informativ. Sie geben sowohl Arbeitsprozesse wie auch das zu erwartende Endergebnis exakt und in kulinarischer Sinnlichkeit wieder. Die Zutatenlisten sind in Großbuchstaben gesetzt, sollen so, vermute ich, eine größere Schrift simulieren. Schön gepasst hätten zu den Rezepten einige Kommentare der Autorin, das fehlt, dafür gibt es zusätzliche Infos, die farbig hervorgehoben sind. Am Schluss als Anhang findet man ein umfangreiches Verzeichnis von Bezugsquellen sowie ein Glossar, das stichwortartig auf jene Seiten verweist, wo  Agar-Agar, Gelatine, Nugat, Sauerrahm, Zwetschgen u.a. in den Rezepten verwendet wird. Wer glaubt, dass Backen ein meditativer Spaziergang des home baking ist, der irrt. Backen ist hoch konzentriertes Arbeiten, allerdings mit einem schönen Endergebnis. Nicht zu vergessen sind die Düfte, die die Küche erfüllen. Wer sich auf SÜSSES einlässt, nicht nur auf den praktischen Teil, wird wahrlich belohnt. Auf mich warten Birnen-Muffins mit Muscovado-Streuseln, die gerade auskühlen.

* Olga und Adolf Fr. Hess, Wiener Küche, Wien 1913