Anna Matscher, Schnittlauch statt Petersilie

Lust auf Kochen mit Südtiroler Sterneköchin

Fotos von Michael Schinharl
Folio Verlag, Wien - Bozen, 2017, 216 Seiten, 38.-- Euro
ISBN 978-3-85256-732-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach SÜDTIROL.

Über den Reschen durchs Vintschgau hindurch geht die Fahrt. An Meran vorbei weiter Richtung Süden und dann steuern wir bei Lana rechts auf ein Plateau hinauf. Gut 300 m über dem Etschtal liegt Tisens, das Ziel unseres Ausflugs. Eine Gemeinde mit 1900 Einwohnern, die eigentlich nicht großartig bekannt ist. Und das wäre sie weiterhin, wenn, ja wenn nicht 1997 ein Ereignis den Ort plötzlich dem Dornröschenschlaf entrissen hätte: da suchten Pressevertreter, Gourmets und Adabeis den Löwen-Gasthof heim. Eigentlich galt die Heimsuchung Anna Matscher, der Köchin des Löwen; sie brachte einen Stern ins Meraner Oberland. Die erste und einzige Frau Italiens mit einem Michelin-Stern! Zehn Jahre bekochte sie bereits die Bauern und Touristen mit eigenwilligen Feinheiten jenseits vom Wiener Schnitzel. Wenige erkannten damals offensichtlich das Potenzial der Autodidaktin Anna, die nur zur Köchin wurde, weil ein Gasthaus als Erbe vor sich hindämmerte. Dann der Stern, dem ein Pilgerstrom von Feinschmeckern folgte. Einige Jahre ging das so, da wurde der Stern ihr wieder genommen – ohne Begründung. Hier tun sich Parallelen auf zu Godio, auch ein eigenwilliger Meisterkoch, nur ein Tal weiter, dem ein Stern gegeben und wieder genommen wurde. Beiden ging es daraufhin schlecht, das ist die Kehrseite des Sterneruhms. Nun, Anna bekam ihn wieder, Godio nicht. Jetzt, im dreißgsten Jahr der Wiederbelebung des Löwen, das natürlich jetzt ein Restaurant ist, gibt es nicht den zweiten Stern, nein, es gibt ein Kochbuch von ihr. Schnittlauch statt Petersilie, so der Titel, ist im Folio Verlag erschienen. Ein den Vier-Jahreszeiten gewidmetes Vermächtnis der Anna Matscher und der Beweis ihres eigenständigen, beharrlichen Weges, den Südtirolern die Lust einer puristischen Küche mit vielen Geschmackserlebnissen auf dem Teller zu vermitteln. Da entdecken wir auch gewisse Ähnlichkeiten mit der großen Johanna Maier: 10 Jahre Durststrecke, nur die besten Produkte aus der Region, sensibel abgeschmeckte Speisen, ein eigener Stil charakterisieren diese Köchinnen. Viel erfährt man aus dem einfühlsamen Text von Gabriele Crepaz; über die Person Anna Matscher, ihre Familie, ihren Alltag, ihre unmittelbare Umgebung und über jene, die sie prägten in ihrer Kochlaufbahn. Von ihrer Mutter übernommen hat sie, die Speckknödel mit Schnittlauch und nicht mit Petersilie zu würzen. Daher auch der Buchtitel. Von anderen Kochgrößen, bei denen Anna ein Praktikum absolvierte, wurde sie bestärkt, ihren Weg zu gehen, ihr Talent auszuleben. Hans Haas, Chef des Tantris in München, ist einer dieser Förderer. Im Vorwort beschreibt er ihre Gerichte als ausgefallen, raffiniert und gleichzeitig bodenständig. Dem kann ich nur zustimmen.

Sich Anna Matschers Küche anzunähern, gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal, alles 1:1 zu übernehmen. Das setzt voraus, dass gewisse Küchengeräte wie eine Espumaflasche oder eine Eismaschine vorhanden sind, auch, dass man bereit ist, Fonds und Essenzen herzustellen, von denen nur ein kleinster Teil benötigt wird, wie bspw. den Pilzschaum für die Blätterteigtarte mit Mangold und Pilzschaum. Auch muss die Speisekammer und der Kühlschrank gut bestückt sein, ihre Produktpalette ist extrem breit gestreut. Das bringt es aber auch mit sich, dass Annas Küche sehr abwechslungsreich ist. Wie die Sardinentarte mit Peperoni-Tomaten-Creme, die mit Pfifferlingen gefüllten Ravioli auf Kalbsbries oder die Safranbirne mit Rosmarinbaiser und Tonic-Sorbet beweisen. Experimentierfreudige Köchinnen und Köche, mit Lust zum kunstvollen Anrichten, kommen hier voll auf ihre Kosten. Anna Matschers Speisen sind kleine Kunstwerke und dementsprechend die Mengen auf Feinschmecker abgestimmt. Kein Kantinenessen und keine XXL-Abfertigung. Alles wirklich vom Feinsten. Aber, man kann dieses Kochbuch auch anders handhaben. Als Ideenlieferant und Impulsgeber, sich inspirieren lassen von ihren Ansätzen, um etwas Neues zu kreieren. Mir ist das geschehen bei zwei Nachkochversuchen. Beim Ziegenfrischkäse im Filoteig mit Wildkräutersalat und Mandeln habe ich das Mandelpüree durch ein anderes Püree ersetzt und dennoch schmeckte alles fantastisch. Vor allem hat mir die Idee, den Frischkäse im Filoteig zu frittieren, besonders gut gefallen. Auch beim Kürbisrisotto mit Lupinenkaffee und Kapuzinerkresse bin ich von ihren Vorgaben abgewichen und habe das Kapuzinerkressegelee weggelassen. Der Kürbisfond mit Lorbeer und Parmesanrinde ein Traum, endlich jemand, der die Parmesanrinde sinnvoll einsetzt und nicht wegwirft. Auch den Lupinenkaffee zum Garnieren habe ich weggelassen. Also Kürbisrisotto pur, dazu geriebener Parmesan aus Gewohnheit, mehr gab und brauchte es nicht – ein himmlisches Vergnügen. Das heißt aber nicht, dass ich Annas Kürbisrisotto mit Lupine und Kresse nicht auch noch ausprobieren werde. Vorläufig werde ich Ihnen aber das Rezept am Ende verraten.

Die Topfenknödel mit Zweierlei vom Rhabarber arrangierte ich mit den letzten Rhabarberstangen aus meinem Garten. Da hätte ich die doppelte Menge rüsten müssen, so schnell waren die Knödel verschwunden. Die Rezepte mit Zweierlei scheinen Anna zu liegen, wie auch das Kalbsbries mit Zweierlei von der Erbse aufzeigt. Aber es sind die Fische und Meerefrüchte aller Art, für die Anna Matscher eine besondere Vorliebe hegt. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie erst als als junge Frau zum ersten Mal Fisch probierte. Heute ist es ihr Leibgericht und das belegt die Anzahl der Fischgerichte in diesem Kochbuch. Allerdings ist sie auch eine gute Pastaköchin. Der Beweis sind die Canelloni mit mediterranem Gemüse. Ich liebe diese Canelloni, die auf dem Teller wie zwei überdimensionierte Stollwerke aussehen. Zudem verführte mich dieses Gericht, wieder, nach langer Zeit, Nudelteig selbst herzustellen. Das machte ich und gleich in größerer Menge, um einiges auf Vorrat einzufrieren. Ein weiteres Gericht, das ich unbedingt ausprobieren musste, waren die Nigilan mit Honig , ein Urgestein aus der Südtiroler Krapfen-, Kiechl- und Strauben-Küche. Andernorts heißen sie Nigelen oder Zirggelen. Da zeigte sich mir auch, dass, je näher Anna an der Heimatkost dran ist, desto authentischer bleibt sie. Lediglich in den Mengenangaben unterscheiden sich ihre Nigelen von meinen und den Rum, den sie als Verstärker einsetzt.

Anna Matscher ist eine willensstarke, experimentierfreudige Vollblutköchin, die fürs Kochen brennt. Das zeigen ihre phantasievollen Ansätze in den Rezepturen, ihr respektvoller Umgang mit den Produkten und wie sie die Gerichte am Teller präsentiert – Landschaftsbilder, die mit einiger Fantasie kargen Bergeshöhen, Vulkanen, Wüsten oder grünen Wiesen ähneln. Allein schon die Bildarrangements lassen beim Durchblättern des Buches erwartungsvolle Freude aufkommen. Michael Schinharl inszenierte perfekt fotografierte Landschaften des Meraner Umlandes und Speisen in ausdrucksstarker Tiefenschärfe, vor wunderbar stimmigen Hintergründen, die der Künstler Alexander Seelherr vorgab. Gewünscht hätte ich mir auch ein paar prozessbegleitende Abbildungen aus der Küche sowie beim Anrichten und natürlich ihre Speckknödel mit Schnittlauch. Dennoch, Anna Matscher hat mit Schnittlauch statt Petersilie nicht nur ein anspruchsvolles Kochbuch vorgelegt, es ist auch eine Einladung – sich mit dem Geschmack und den besten Produkten der heimischen wie auch mediterranen Küche auseinanderzusetzen. Was nach jedem Kochevent herauskommt, kann sich nicht nur sehen lassen, es schmeckt unvergleichlich, einfach nach Anna Matscher.

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