Florian Gleibs, Shalom Kitchen – jetzt noch schnell Jude werden

Levante-Rezepte und Geschichten aus Israel

Mit Fotos von Guido Schmelich
EMF Verlag, München, 2022, 288 Seiten, 47.70 Euro

ISBN 978-3-7459-1210-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach MÜNCHEN.

Wir begeben uns auf eine Spurensuche. Jüdisches Leben war in Bayerns Hauptstadt bis in die 1980er Jahre geprägt von Holocaustüberlebenden. Dann folgte eine Welle von jüdischen Emmigranten aus der ehemaligen Sowjetunion und heute sind es junge Israelis, die München als Lebensort wählen. Die israelitische Kultusgemeinde zusammen mit der liberalen Beth Shalom Gemeinde hat mittlerweile 10.000 Mitglieder. Somit hat Bayerns Hauptstadt nach Berlin die zweitgrößte jüdische Kommune in Deutschland.

Auch Florian Gleibs, seine Familie kommt ursprünglich aus Bagdad, hat es, nach Aufenthalten in Israel und Griechenland, ins Land der Bajuwaren verschlagen. Mit 17 Jahren jobbte er in der Gastronomie und blieb hängen. Kochen wurde ihm also nicht in die Wiege gelegt. Aber Shafta, seine Großmutter, verwöhnte ihn wie auch die übrige Enkelschar mit Sambussek, Alej Geven und anderen koscheren Köstlichkeiten. Unbewusst merkte der junge Florian sich all diese Familienrezepte. Sie erinnern ihn auch an Momente unbeschwerter Kindheit. Und das ist wohl mit ein Grund, dass ihm Kochen heute noch so viel Spaß macht. Der mittlerweile Mitfünziger wuchs in einem Konglomerat jüdischer Mischpoke auf. In seiner Großfamilie trafen verschiedene nationale Esskulturen aufeinander. Da wurde tagtäglich frisch und international gekocht. Moderne jüdische Küche, die Florian bis heute im Schmock, seinem Restaurant neben dem Münchner Volkstheater, zelebriert. Dort versammeln sich also die Feingeister guten jüdischen Essens, Künstlerinnen und Künstler, Adabeis und Möchtegern Juden oder eben jene, die einfach neue israelisch-arabische und deutsche Gerichte ausprobieren wollen. Florian Gleibs hat im Laufe von 20 Jahren gemeinsam mit seiner Kochmannschaft unzählige Speisekarten entwickelt. Ein Berg an erprobten Rezepten hat sich dabei angesammelt, von denen viele in Shalom Kitchen aufgenommen wurden. Das Kochbuch ist im EMF Verlag erschienen.

Ein erstes Durchblättern lässt Freude aufkommen. Luftig leicht präsentieren sich über 80 Rezepte auf sieben Kapitel verteilt. Zum Auftakt gibt es Mezze & mehr Gerichte, darunter welche, die vielleicht sogar im Orient-Express serviert wurden. Geben wir uns dem Traum einer Orientreise im Zug hin und lassen uns Rote-Bete-Salat mit Feta, Granatapfel und Minze servieren. Mein geistiges Auge erfasst Monsieur Poirot, der schräg gegenüber im Speisewagen sitzt und Magic Mushrooms – eingelegte Portobello-Pilze mit Sumach genüsslich verspeist. Die Chamuzim Pickles wurden mir gerade aufgetischt. Gedankenverloren spieße ich sie auf die Gabel, schiebe die salzige Gurke mit Dill in den Mund, oooh, das reißt mich aus meiner Verträumtheit und während Monsieur Poirot verblasst, werde ich meiner Frau gewahr, die aus vollem Herzen loslacht.

In dem ersten Kapitel finden sich Klassiker wie Falafel oder Hummus, aber auch Neues wie Pimientos de Patron, ein spanisches Pfannengericht. Ebenfalls dem Orient-Express-Kapitel entnahm ich die Anleitung für Aprikosen-Dattel-Bulgur mit Walnüssen und Pistazien – das Gericht musste ich sofort ausprobieren und servierte die Bulgurmischung auf einem nicht mehr taufrischen Mangoldblatt. Die Aprikosen, d. h. Marillen, waren tiefgefroren, was geschmacklich überhaupt nicht auffiel. 

Das zweite Kapitel ist dem Israelian Style – der Internationalen Gastronomie gewidmet. Da geben sich Kebab Deluxe, ein knuspriges Hühnchen wie auch der Hamdullah-Burger, ihr Stelldichein. Hamdullah oder Hamullilah ist eine Floskel, die einem in der ganzen arabischen Welt begegnet. Lob sei Gott, dass Florian keine Berührungsängste hat und uns so einen üppigen Burger auftischt.

Im dritten Abschnitt dreht sich dann alles um Suppen, Eintöpfe und Saucen. Frei nach dem Motto, Eingetopft und Ausgelöffelt dürfen wir uns auf eine Maronensuppe freuen. Sie wird zusammen mit gebratenen Jakobsmuscheln und marinierten Rosenkohl serviert. Das ist schon gehobene Küche. Allerdings kommt in die Maronensuppe ein Teelöffel Backkakao; das ist reiner Kakao, ungezuckert.

Der Tscholent, ein klassischer Rindereintopf, erhält als Beigabe Spicy-Bohnen-Pickles und marinierten Zitronen-Feta, was weit über den normalen Sabbateintopf hinausgeht. Tscholent ist ein jüdisches Wort, das aus dem Lateinischen stammt und über das französische chaud, was heiß bedeutet, ins Jiddische kam. Heiß ist wichtig und es sind nicht jazzige Rhythmen gemeint, sondern das Garen über Nacht. Denn, Tscholent ist der traditionelle Eintopf für das Mittagsmahl am Sabbat. Heinrich Heine lässt den Tscholent hochleben als Götterfunke. Ein beliebter Jungenstreich in Israel war – und ist es wahrscheinlich heute noch – am Freitagabend nach Sonnenuntergang die Sicherungen herauszuschrauben, dann blieb der elektrische Funke im Ofen aus und der Tscholent kalt. Aber wer es schafft, den Rindereintopf ca. 7 Stunden langsam umluftig bei 80 Grad garen zu lassen, wird überrascht von der Zartheit des Gerichts. Mich verblüffte der marinierte Zitronen-Feta, der hier mit Bohnen serviert wird. 

Kapitel vier bekommt einen grünen Anstrich; hier ist alles vegetarisch. Mit Sti(h)l und Stängel  werden Tomaten, Brokkoli und allerlei Gemüse zu kleinen Köstlichkeiten vermengt. Die Arabische Minestrone ähnelt der uns geläufigen italienischen sehr, wären da nicht andere Gewürze und Zutaten. Begeistert war ich dann von Bamia, das sind geschmorte Okraschoten in Tomatensauce. Dieses Gericht bekommt mit Feta einen griechischen Touch um im nächsten Moment wieder auf levantinischen Boden zurückgeholt zu werden, sobald man auf die Kichererbsen beißt. Unbedingt ausprobieren. 

Die Fisch-Abteilung beschert uns nicht Gefilte Fisch, nein, es sind Gefilte Muscheln, die untermalt werden von Eingelegtem Kurkuma-Blumenkohl. Überhaupt spielt der Karfiol in diesem Kochbuch eine gewichtige Rolle, und das ist gut so. Die Auswahl an Fisch- und Meeresfrüchte-Gerichte ist klein. 

Dagegen ist das Fleisch & Geflügel-Kapitel das umfangreichste in diesem Kochbuch. Mit welcher Lust sich Gleib den Ochsenfetzen-Sabich hingibt oder einem Kumquat-Hühnchen oder einem Rinderfilet Garnelen-Spieß mit Dill-Labaneh, das als Lawrence von Arabien angepriesen wird, das offenbart sich nur beim Nachbauen der Gerichte. Die Schufte Bällchen mit Gigantes erinnern irgendwie an die Königsberger Klöpse, nur sind die Kapern in den Bällchen und in der Tomatensauce tummeln sich Riesenbohnen. Ein interessantes Gericht, das mit dem Finger in den Irak zeigt, mich an Kofta erinnert, allerdings fehlt der Reismantel oder ein anderer Umhüllungsversuch. Hier sollte ich vielleicht anmerken, dass Gleibs den Hauptgerichten sehr viel Raum gibt, auf mehrere Seiten breitet er die Rezepturen – mit angenehm großer Schrift – aus. Beigestellt das abgelichtete Gericht. Der Fotograf Guido Schmelich setzt das Gekochte in Szene, ohne aufdringlich zu werden. Man hat sofort eine gute Vorstellung von den Gerichten.

Gleibs Rezepte lassen den Anwendern viel Freiraum. Bspw. besteht Popis Papoutsakia aus drei Teilen; eine gefüllte Aubergine wird umrahmt mit Knoblauch-Zitronen-Kartoffeln, inklusive Klecksen von Parmesan-Pinienkern-Sauce. Will man’s schnell und einfach halten, dann begnügt man sich mit den gefüllten Auberginen ohne Beiwerk. Auf Korsika werden Les aubergines à la Bonifacienne ohne Rinderhack angeboten. Ursprünglich mit altem Brot und Käse zubereitet, ist das ein billiges vegetarisches Gericht. 

Mit Kinuchim oder Dessert wird dann ultimativ das letzte Kapitel eingeleitet. Auch hier findet sich eine Reihe interessanter Süßspeisen. Sofort aufgefallen ist der Malabi-Milchreis mit Rosenwasser, Holundersirup und weißem Schoko-Crunch meinem Sohn Benjamin, der ihn auch unbedingt kosten musste. Die Vermählung des Orients mit Südostasien, gemeint ist Rosenwasser und Kokosmilch, adelte das Dessert. Diese Zurücksetzung hält Europa natürlich nicht aus und mischt sich beim Garnieren mit karamellisierter Schokolade und Holersirup ein. Der Milchreis bestand die kritische Prüfung meines Sohnes mit Bravour. Erwähnt sei noch, dass wenig Zucker verwendet wird.

Shalom Kitchen ist ein Kochbuch mit jüdisch arabischen Rezepten aus der weiten Welt, die erfrischend spritzig und launig in einem präsentiert werden. Der Untertitel jetzt noch schnell Jude werden lässt  jüdischen Humor in bester Kishon-Manier aufblitzen. Der setzt sich fort in den Schmock-Plakaten die, ein Ei mit Kippa, ein Teller mit Schläfenlockenbesteck, eine Menora als Gabel u.a. zeigend, das Judentum auf die Schippe nimmt und gleichzeitig humorvoll für Aufmerksamkeit sorgt. Ein Ton, der sich durchzieht. Im Mittelpunkt aber stehen Rezepte, die in der Interpretation von Florian Gleibs immer überraschen und schöne Genussmomente bescheren. Dazu trägt auch die Gestaltung dieses Kochbuchs bei – eine stille Aufforderung mit Sogwirkung, das eine oder andere Rezept nachzubauen. Das Zutaten-orientierte Register lässt zwar alles finden, was an Produkten verarbeitet wird, aber gewünscht hätte ich mir auch noch den alphabetischen Zugang über die Rezepttitel. Shalom Kitchen beeindruckt zum einen, weil die Rezepte überschaubar an Zutaten und bodenständig bleiben, zum anderen, weil so viele Gerichte die Alltagsküche bedienen. Jedenfalls sind die Rezepte in diesem Kochbuch kein Schmock, was im Jiddischen leeres Geschwafel heißt.