Stefanie Herkner, WIENER KÜCHE mit Herz

Meine Klassiker & Lieblingsrezepte AUS DER KINDHEIT

Mit Fotos von Olivia Wimmer
Mit Texten von Julia Vitouch
Brandstätter Verlag, Wien, 2022, 208 Seiten mit Lesebändchen, 35.-- Euro

ISBN 978-3-7106-0594-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach WIEN.

In der Wiedner Hauptstraße 36, im 4. Bezirk, kehren wir ein. Zur Herknerin heißt das Wirtshaus, an dessen Frontseite über den Fenstern und dem Eingang in großen Leuchtbuchstaben Installationen zu lesen ist. Dass hier vormals ein Klempner seine Werkstatt und Büro hatte, ist Geschichte. Auch, dass in diesem Haus der finnische Komponist Jean Sibelius zwei Jahre wohnte. Er meinte: „Wien ist ein Ort ganz nach meinem Geschmack. Alles ist so freundlich und groß, hell und klar. Diese Luft macht mich verrückt. Walzer schwirren mir im Kopf herum …“ Heute ist die Luft an diesem Ort mit Aromen der Wiener Küche angereichert. Im Wirtshaus Zur Herknerin wird Alt-Wiener und österreichische Küche serviert. 

Stefanie Herkner – die Wirtin – kam aus der Fremde nach Hause, weil ihr etwas fehlte. Obwohl sie in ihrem Job als Kulturmanagerin für Galerien und Museen die Erfüllung fand, trieb sie die Sehnsucht nach ihrem elterlichen Wirtshaus und der buchstäbliche Hunger nach den Gerichten ihrer Kindheit zurück in ihre Heimatstadt. Heinz Herkner, ihr Vater, war ein bekannter Koch, der in den 70er bis 90er Jahren die Wiener Küche modernisierte. Beim Herkner in Wien-Dornbach gab es gehobene Hausmannskost, mit Anleihen aus der neuen französischen haute cuisine. Daran erinnert auch die handgeschriebene Speisekarte mit Schillingpreisen, die jetzt im Wirtshaus Zur Herknerin hängt. Kalbsvögerl in Paprikarahmsauce mit Nockerl kostete damals 190 Schilling, das sind ungefähr 14 Euro. Und wenn heute in Stefanies Wirtshaus die gefüllte Kalbsbrust zubereitet wird, dann denken Mutter und Tochter Herkner wohl an den Heinz, denn dieses Gericht war für viele seiner Stammkunden der Inbegriff guten Speisens. Bei Stefanie weckt es Kindheitserinnerungen, vor allem die Knödelfülle lässt vor ihrem inneren Auge den Vater wiedererstehen. Ihr jüngst erschienenes Kochbuch WIENER KÜCHE mit Herz ist ihm gewidmet, eine Hommage an seine Kochkunst.

Stefanie Herkner hat sich vorgenommen, die Wiener Küche in ihrer absoluten ursprünglichen Art, so wie es die Mütter und Großmütter früher gemacht haben, einem breiteren Publikum und Feinschmeckern eben dieser Küche zu präsentieren und zugänglich zu machen. Gemeint ist eine Küche, die mit den allerbesten Zutaten arbeitet, so authentisch wie möglich ist sowie mit Herz und ohne Schnickschnack die Speisen zubereitet. Entscheidend ist, dass man dafür zu den Wurzeln zurückgeht, Originalrezepte verwendet und, wie die Historikerin Ingrid Haslinger betont: sich bewußt macht, dass in jenen Zeiten, in denen die Altwiener Küche in Kochbüchern publiziert wurde, für viel mehr Leute gekocht wurde als heute. Stefanie hat deshalb die verschiedensten Rezepte ihrer Familie ausgegraben, nachgekocht und zu Papier gebracht. Dass sich darunter auch slawische Gerichte finden wie bspw. Sarma, die serbischen Krautrouladen, ist ihrer Mutter geschuldet, die Slowenin ist. Aber auch das gehört zur Wiener Küche, die ein Konglomerat von Kochstilen ist – ein Überbleibsel der Habsburger-Monarchie.

In fünf Kapiteln stellt Stefanie Herkner ihre WIENER KÜCHE mit Herz vor. Dazwischen eingestreut finden sich sehr persönliche Texte, die im Kontext zu Kindheitsschmaus, Nockerln und Himbeerwahnsinn stehen. Auch James Bond lässt grüßen, auf Wienerisch. Der Martini-Cocktail, geschüttelt und nicht gerührt, ist mittlerweile ein Wahrzeichen im Wirtshaus Zur Herknerin und wer ihn bestellt, bekommt die größte Aufmerksamkeit vom Personal, denn es könnte ja 007 sein, inkognito, im Auftrag ihrer Majestät.

Die Vorspeisen sind das Vorspiel zum Essen. Und Essen ist meine Lieblingsspeise, behauptete Friedrich Torberg. Das Gansllebertöpfchen oder wienerische Foie Gras ist die französische Seite in Stefanie, die, wie ihr Vater, auch die haute cuisine liebt. Und die versteht sich wunderbar mit der Wiener Küche in Form von Grammel-Pogatschen, deren Vorfahren aus Ungarn kommen. Da wird ein Germteig mit Grieben angereichert und die mit einem Glas ausgestochenen Pogatschen im Ofen gebacken. Hier ist es die salzige Variante.

Im Suppen-Kapitel treffen wir auf die berühmten Grießnockerln, die etwas Übung erfordern, bis sie formvollendet im Zentrum der Suppentasse schwimmen. Zudem sollen sie groß, buttrig und flaumig sein, eine Konsistenz besitzen, die nach dem ersten Bissen bestätigt oder vernichtet wird. Na ja, so schlimm wird es schon nicht werden. Aber eines sollten wir nicht vergessen, perfekte Nockerln heben die Stimmung der Tischgesellschaft. Die Fischbeuschlsuppe ist nicht jedermanns Sache. Der Sänger und Schauspieler Peter Alexander, der beim alten Herkner Stammgast war, mochte sie nicht. In alten Wiener Rezepten wurden in der Brühe noch 2-3 Fischköpfe mitgekocht, die Suppe mit Zitronenvierteln aufgetragen. Stefanie serviert  sie mit Dille und Croutons.

Stefanie Herkner schwört auf gefüllte Kalbsbrust, gekochten Tafelspitz und serbische Krautrouladen und glaubt fest, dass das Leben in Wien nicht viel besser schmecken kann. Dem ist nichts hinzuzufügen, vielleicht noch ein paar Rezepte, die sich auch noch im Hauptspeisenkapitel finden. Das Rindsgulasch, das von ihr mit 1 kg Zwiebeln auf 1kg Fleisch zubereitet wird. Der Apfelkren als Beilage zum Tafelspitz, der beim Verzehr einem das Wasser in die Augen treibt, oder die gefüllten Paprika, zu der Stefanie als Beilage Weißbrot oder Petersilerdäpfel vorschlägt. Die überbackenen Schinkenfleckerl setzte ich meinen Enkeln vor, die von dieser cremigen Speis’ absolut begeistert waren. In weiser Voraussicht habe ich ein bisschen mehr Schinken hineingegeben, ihn rauszupulen hat ihnen am meisten Spaß gemacht. Der Karfiol mit Bröseln weckte Erinnerungen an meine Kindheit. Neu sind, und da bin ich Papa Herkner dankbar, die hartgekochten Eierhälften, die mit feingeschnittener Petersilie die Bröselkuppen zieren.

Wenn von Topfenknödeln, gebackenen Apfelspalten, Palatschinken oder Milchreisauflauf die Rede ist, dann weiß man, dass man sich durch die Dessertabteilung kostet. Rezepte von Punsch- und Mohntorte sind hier ebenfalls zu finden. Papa Herkners Spezialität war Himbeergrütze und die süßen Knödel konnte niemand besser formen als Sarika, die Mutter, die heute immer noch Stefanie als Köchin beiseite steht. Die WIENER KÜCHE mit Herz ist auch ihr gewidmet.

Im Drink-Kapitel stehen am Bartresen drei Cocktails. Nichts für Kinder. Den Martini-Cocktail haben wir schon kennengelernt, bleiben noch Kir Royal, ein edles ‚Champagner-Gesöff’, und der Otto Cocktail von Felipe Galuppo , wer immer das ist. Jedenfalls sind diese Cocktails eine schöne Idee und auch kein ursprünglicher Bestandteil der Wiener Küche. Aber im Wirtshaus Zur Herknerin hat der Cocktail mittlerweile schon Tradition und versprüht mondän-genussvollen Charme, den ich an der Wiener Küche so schätze.

WIENER KÜCHE mit Herz ist ein mit Herzblut geschriebenes Kochbuch, das in sich Klassiker und Lieblingsrezepte aus der Kindheit der Autorin vereint. Kleine Illustrationen mit einer Winzigkeit erotischen Flairs beleben viele Seiten. Herzerwärmende Fotografien von Olivia Wimmer geben diesem eine besondere bildhafte Duftnote. Und die Rezepte? Die sind von bestechender Einfachheit. Kurz und prägnant die Beschreibungen wie auch die Auflistungen an Zutaten. Dieses Kochbuch birgt eine Fülle bewährter Gerichte mit manchmal geringfügigen Änderungen, wie sie bei den Herkners gekocht wurden, im Wirtshaus und Zuhause.