Toni Mörwald, 365 Rezepte für jeden Tag

Essenszeit ist Lebenszeit

Texte von Sonja Planeta
Fotos von Julia Stix
Brandstätter Verlag, Wien, 2022, 608 Seiten, 65.-- Euro
ISBN 978-3-7106-0632-8
Vorgekostet

Ein Tisch ist ein Tisch,

sagt Peter Bichsel und erzählt die Geschichte vom alten Mann, der kein Wort mehr sagt, ein müdes Gesicht hat, zu müd zum Lächeln und zu müd, um böse zu sein. Immer derselbe Tisch, sagt der Mann (…) und zu dem Tisch sage ich Tisch, und das Bett heißt Bett … Die Franzosen sagen zu dem Bett ‚li‘, zu dem Tisch ‚tabl‘, nennen das Bild ‚tablo‘ und den Stuhl ‚schäs‘, und sie verstehen sich. Auch Toni Mörwald sagt zum Tisch Tisch und zu dem Stuhl Stuhl. Und er ist sich der Bedeutung dieser Möbelstücke bewusst. Der Tisch ist Symbol für Kommunikation, für Gemeinsamkeit, für Geselligkeit. Am Tisch spielt sich die Fülle des Lebens ab, wird vitale Energie durch Essen und Trinken gewonnen. Aus diesem Wissen heraus ist wohl auch Tonis letztes Kochbuch entstanden. 365 Rezepte für jeden Tag benötigen nämlich einen Tisch, an dem man sitzt und sein Essen einnimmt, gemeinsam mit vertrauten Menschen. Und sich unterhält, z. B. über das Essen und über die Rezepte von Toni Mörwald.

An meinem Tisch sitzen einige HobbyköchInnen, durchgehalten haben Brigitte und Margarethe. Wir blättern uns durch Tonis Buch, mehr Koch-Kalender, und Schwergewicht von knapp unter drei Kilogramm und mehr als 600 Seiten. Der Brandstätter Verlag verweist auf Toni Mörwalds Wissensschatz, der kulinarisch vielseitig und köstlich sein will, eben mit Rezepten, die über Jahre erprobt und einfach zuzubereiten sind. Das wollen wir genauer wissen und einigen uns auf einen Zeitausschnitt zwischen dem 15. September und dem 31. Oktober, um die darin vorgestellten Rezepte nachzubauen und zu bewerten. Ähnlich wie Julie Powell aus dem Film Julie & Julia, die über ein Jahr lang jeden Tag ein Rezept aus Julia Childs Kochbuch Mastering the Art of French Cooking nachkochte. Wir begnügten uns mit einem viel kleineren Zeitfenster und beanspruchen auch nicht davon alle Tagesvorschläge nachzukochen. 

Hier werden nun einige Gerichte vorgestellt, die nachgebaut und verkostet, uns einen guten Einblick in das Mörwaldsche Kochuniversum geben.

Tarte Tatin oder auch La Tarte des Demoiselles Tatin, ist ein umgekehrt gebackener Apfelkuchen, der mit aromatischen Äpfeln wie Elstar oder Boskop besonders köstlich schmeckt. Diese Apfeltarte wird mit dem Teig, der über die Apfelspalten gelegt wird, gebacken, und wenn sie fertig ist, stürzt man sie auf einen Kuchenteller, sodass die schön karamellisierten Äpfel zum Vorschein kommen. Interessant ist, dass in der klassischen Tarte Tatin, wie sie bspw. Julia Child beschreibt, zweieinhalb mal soviel Äpfel verwendet werden wie bei Toni. Einig sind sich die Autoren aber, wie auch wir Testesser, dass sie warm am besten schmeckt. 

Immer lecker sind Geschmorte Kalbsbackerl mit Erdäpfelpüree, Steinpilzen und Grünkohl, das denken wir alle. Ein Essen nur für zwei befand Margarethe, kochte es ihrem ‚Mo‘ (Mann) und bekam beim Erzählen einen leicht verträumten Blick. Ihre Ausführungen blieben aber hart am Essen, das einfach und gut nachzubauen ist. Von der Sosse war sie weniger überzeugt. Diese war schon fast verkocht, als sie nach knapp einer Stunde die Backerln aus dem Kochtopf rausnahm. Die Rettung kam dann mit der Gemüsebrühe, die sie aufgoß, einkochte und mit Butter (nicht im Rezept) verfeinerte.

Mit Ramen bewegen wir uns in japanischen Gewässern, wobei diese Nudelsuppe chinesische Wurzeln hat. Die Vorbereitungsarbeiten sind schnell erledigt. Für den Nachbau wurde etwas mehr Schweinebauch genommen als angegeben. Huhn und Fleisch nehmen den Geschmack der Soja- und Fischsauce wie auch übrigen Gewürze gut auf. Letztere sind, frisch gemahlen, ein wichtiges Kriterium für Margarethe. Bei Mörwald werden die Ramen-Nudeln selbst gemacht, sie schwimmen als Einlage in der Suppe.

Der Flammkuchen ist eine Elsässer Spezialität, die einfach und schnell zuzubereiten ist. Beim ersten Versuch gab es das Problem, den dünn ausgerollten und belegten Teig aufs Blech zu bekommen. Man bräuchte ein Brotbrett, oder der Teig war zu klebrig. Auf alle Fälle wurde hier gepfuscht und dazu kam, dass der Rand des Flammkuchens dann zu dick war – das schmeckte gar nicht. Die dünnen Stellen waren dagegen sehr knusprig. Hier wäre es angebracht, die Beschreibung so abzuändern, dass es der Flammkuchen gleich beim ersten Mal problemlos auf das Blech schafft. Der Belag mit Schafsricotta, Taleggio, frischen Feigen und Rucola verlieh diesem Kuchen eine feine Note.

Ein absolutes Highlight war das Feuersbrunner Kellerfleisch. Hierfür bekam mit super lecker eine Mitköchin von ihrem Schwiegersohn den goldenen Kochlöffel. Wir alle in der Runde kannten diese Art der Zubereitung dieses Schöpfgerichts so nicht. Es wird für die Kellerrunden, speziell zur Lesezeit, aber auch durchs Jahr hindurch zubereitet. Früher auf dem Kanonenofen gekocht, wurde das Kellerfleisch mit dicken Brotscheiben serviert. Man fühlt sich schnell in einen Weinkeller versetz. Eine Flasche Veltliner wird zugegossen und die Aromen dieser Mischung aus Gewürzen und Schweineschmalz erinnern an die großen Weinfässer in den Kellern. Und auch der Hunger stellt sich ein. Nach 90 Minuten Kochzeit ist der Weingeschmack ‚fast‘ verkocht. Eine Brise hält sich hartnäckig im Raum. Margarethe will dieses Gericht demnächst am Lagerfeuer kochen und mit Stockbrot servieren; eine gute Idee.

Den Karfiol-Emmer-Risotto mit Reblochon setzte Brigitte zuerst ihren Freundinnen vor, die sie und den Risotto dann in höchsten Tönen lobten. Ihr Urteil: wunderbar, ausgewogen, der Rest ist gut aufzuwärmen am nächsten Tag. Statt des Reblochons verwendete sie einen Brie, also billigeren heimischen Weichkäse. Mörwald beschreibt den Reblochon als Rotschmierkäse, was so nicht stimmt, denn der original Reblochon de Savoie bekommt seine gelbe bis orangefarbene Rinde durch natürlichen Weißschimmel. Der Emmer-Risotto überzeugt und man sollte sich den Bergkäse aus Savoien gönnen, der einen nussigen Nachgeschmack hinterlässt.

Ein süßes Glanzstück ist Mörwalds Wagramer Walnusstorte, die einem ganzen Chor nach der Probe beste Laune bescherte. Dass nach dem Rezept gefragt wurde, ist eh klar. Für diese relativ einfache Torte muss man einige Zeit zum Abkühlen der Massen und des Endprodukts einkalkulieren. Auch darf die Sahneschokomasse nicht zu lange aufgeschlagen werden, sonst gerinnt sie. 

Der Ofenkürbis mit Pinien- & Granatapfelkernen ist ein reichhaltiges Essen für zwei. Übriggebliebenes schmeckt auch am nächsten Tag kalt, besonders mit Salsiccia. Den Kick geben die darübergestreuten Kerne.

Nicht so überzeugt von der Garnelen-Knoblauch-Pfanne war eine Mitköchin, weil dem Gericht eine gewisse Raffinesse fehlt für eine Hauptspeise. Als Vorspeise ist es besser geeignet. Wichtig ist, kleine Kirschtomaten mit Geschmack zu verwenden. Der Bringer waren die Salzflocken, die beim Draufbeißen knacken und einen Geschmackskick ergeben, findet Margarethe.

Die Buchweizenkräuterwaffeln mit Rote-Rüben-Tatar & Rucolabutter entpuppten sich als Gaumenschmaus, als Glücklichmacher. Und von der Rucolabutter kann man ruhig mehr anmachen, und zur Jausenzeit aufs Baguette schmieren, himmlisch.

Das Katzengschroa in der Kaisersemmel faszinierte mehrere, wenn auch niemand bereit war, es auszuprobieren. Ob die Katze im Titel oder die Innereien, die mit dem Lungenbraten angeröstet werden, uns davon abhielt, ich weiß es nicht. Wir werden es nie erfahren, lassen die Katzen die eigentlich Schweine sein müssten, weiter schreien und wenden uns nun dem Oktopus-Gröstl mit Erdäpfeln, Gemüse & Limettenmayo zu. Dieses Gericht punktet schon, weil es ein Gröstl ist und alle Tiroler mehr oder weniger mit diesem traditionellen Pfannengericht aufwachsen bzw. aufgewachsen sind. Mit dem Oktopus und der Limettenmayo schwingt mediterranes Flair mit, holt man sich den sonnigen Süden in den Norden. Optisch vermitteln die kreuz und quer liegenden Sprossen einen lustigen Eindruck.

Begeistert waren wir von der Idee mit den Frühstücks-Avocados mit Walnuss-Weckerln. Schnell holte uns die Realität ein, weil die Ausführbarkeit etwas schwächelte. Die Eier Größe L sind immer noch zu groß und ratsamer ist daher, Wachteleier zu verwenden. Aber dann, ja dann wird das Frühstück zu einem besonderen Erlebnis.

Dankbar war ich um die Hagebuttenmarmelade, weil dieses Rezept einfacher ist als mein bisheriges. Ich muss nicht mehr die Kernchen und Härchen mühsam aus den halbierten Früchten herauskratzen, das erledigt zukünftig die Flotte Lotte. Ergänzen sollte ich, dass die Hagebutte eine nicht besonders ergiebige Wildfrucht ist, sich die Früchte der Kartoffelrosen besser als die der Hundsrosen eignen, einfach weil sie größer sind. Und anstelle des Orangensaftes kann auch Apfelsaft oder einfach Wasser beigefügt werden. Diese Marmelade passt gut auf den Frühstückstisch wie auch die Winterapfel-Marmelade, aber das ist ein anderes Rezept.

Toni Mörwalds 365 Rezepte für jeden Tag sind in einem Werk versammelt, das äußerlich mehr einem Atlanten ähnelt als einem Kochbuch. Es ist eine Rezeptesammlung, die sich über viele Jahre ergeben hat. Auch sind Ideen von Familienmitgliedern und Freunden eingeflossen, mit denen Mörwald Essenszeit und damit Lebenszeit verbrachte. Und er versteht seine Rezepte als Anstoß und Impulsgeber. Viele Gerichte sind für zwei Personen berechnet, darüberhinaus finden sich einige Festtagsgerichte wie auch Besondere für Friends & Family. Den Reigen eröffnet die Neujahrs-Katersuppe „Bloody Mary in der Suppentasse“, weil nach der ausgiebigen Party der Körper vor allem Flüssigkeit benötigt. Die Leber anregen aber sollte der Wodka, der auch reichlich mitschwimmt in der Tasse. Beendet wird das Mörwaldsche Jahr mit einem Cocktail. Auf den Norseekrabben-Cocktail mit Sauerrahm & Buchweizenblinis muss man aber nicht warten bis zum 31. Dezember, nein, es ist sogar ratsam, diesen Cocktail bei nächstbester Gelegenheit aufzutischen. Ich werde ihn demnächst meinen Mitstreiterinnen für gutes Essen, Margarethe und Brigitte, als Amuse-Gueule servieren. Ein Dankeschön-Essen ist angesagt. Paprikahendl mit Butternockerln geplant. Beide haben mit dem Nachkochen einiger Rezepte aus 365 Rezepte für jeden Tag und ihren kritischen Anmerkungen diese Kochbuchbesprechung besonders bereichert. Mörwalds 365 Rezepte-Kochbuch ist eine Fundgrube guter Alltagsrezepte, die eine große Bandbreite zwischen traditioneller, heimischer und internationaler Küche aufweisen. Diesen Essens-Kompass fürs ganze Jahr nimmt man gerne immer wieder zur Hand, um sich inspirieren zu lassen, Ideen fürs Frühstück, Mittag- oder Abendessen zu bekommen.